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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Nation!«
    »Himmel!« rief sein Reiter, »du bist ein sehr gelehrtes Pferd! Der Hafer muß dich wirklich stechen! Wo hast du diese gelehrte Anschauung erworben?«
    »Erinnere dich«, sagte der Goldfuchs, »auf wem du reitest! Bin ich nicht aus Gold entstanden? Gold aber ist Reichtum, und Reichtum ist Einsicht.«
    Bei diesen Worten merkte Heinrich plötzlich, daß sein Mantelsack statt mit Wäsche jetzt gänzlich mit jenen goldenen Münzen angefüllt und ausgerundet war, welche er mit den alten Kleidern in das Wasser geworfen hatte. Ohne zu grübeln, woher sie so unvermutet wiederkämen, fühlte er sich höchst zufrieden in ihrem Besitze, und obschon er dem weisen Gaule nicht mit gutem Gewissen recht geben konnte, daß Reichtum Einsicht sei, so war er doch schon insoweit von seiner Behauptung angesteckt und fand sich doch plötzlich so leidlich einsichtsvoll, daß er wenigstens nichts erwiderte und gemütlich weiterritt auf der schönen Brücke.
    »Nun sage mir, du weiser Salomo!« begann er nach einer Weile wieder, »heißt eigentlich die Brücke oder die Leute, so darauf sind die Identität? oder welches von beiden nennst du so?«
    »Beide zusammen sind die Identität!« sagte das Pferd.
    »Der Nation?« fragte Heinrich.
    »Der Nation, zum Teufel noch einmal, versteht sich!« sprach der Goldfuchs.
    »Gut! aber welches ist denn die Nation, die Brücke oder die Leute, so darüberrennen?« sagte Heinrich.
    »Ei, seit wann«, rief das Pferd, »ist denn eine Brücke eine Nation? Nur Leute können eine Nation sein, folglich sind diese Leute hier die Nation!«
    »So! und doch sagtest du soeben, die Nation und die Brücke zusammen machten eine Identität aus!« erwiderte Heinrich.
    »Das sagt ich auch und bleibe dabei!« versetzte das Pferd.
    »Nun, also?« fuhr Heinrich fort.
    »Wisse«, antwortete der Gaul bedächtig, indem er sich auf allen vieren ausspreizte und tiefsinnig in den Boden hineinsah, »wisse, wer diese heiklige Frage zu beantworten, den Widerspruch zu lösen versteht, ohne den scheinbaren Gegensatz aufzuheben, der ist ein Meister hierzulande und arbeitet an der Identität selber mit. Wenn ich die richtige Antwort, die mir wohl so im Maule herumläuft, rund und nett zu formulieren verstände, so wäre ich nicht ein Pferd, sondern längst hier an die Wand gemalt. Übrigens erinnere dich, daß ich nur ein von dir geträumtes Pferd bin und also unser ganzes Gespräch eine subjektive Ausgeburt und Grübelei deines eigenen Gehirnes ist, die du Aberwitziger mit über den Rhein gebracht hast. Mithin magst du fernere Fragen dir nur selbst beantworten aus der allerersten Hand!«
    »Ha! du widerspenstige Bestie!« schrie Heinrich in anthropologischem Zorne und spornte das Pferd heftig, »um so mehr, undankbarer Klepper, bist du mir zu Red und Antwort verpflichtet, da ich dich aus meinem so sauer ergänzten Blute erzeugen und diesen Traum lang speisen und unterhalten muß!«
    »Hat auch was Rechtes auf sich!« erwiderte das Pferd ganz gelassen.
    »Dieses ganze Gespräch, überhaupt unsere ganze werte Bekanntschaft ist das Werk und die Dauer von kaum zwei Sekunden und kostet doch wohl kaum einen Hauch von deinem geehrten Körperlichen.«
    »Wie, zwei Sekunden?« rief Heinrich und hielt das schöne Goldtier an, »ist es nicht wenigstens eine Stunde, daß wir auf dieser endlosen Brücke reiten und uns umsehen in dem Getümmel?«
    »Gerade eine Sekunde ist's«, sagte der Gaul, »daß ein berittener Nachtwächter um die Straßenecke bog, und ein einziger Hufschlag hat in dir meine Erscheinung erneuert, welche überhaupt veranlaßt wurde, als vor einer halben Stunde derselbe Nachtwächter des entgegengesetzten Weges kam.
    Auch ist dieses Minimum von Zeit ein und dasselbe Minimum von Raum, kurz die identische Kleinigkeit deines in das Kopfkissen gedrückten Schädels, in welchem sich eine so weite Gegend und tausend belebte und verschiedene Dinge gleichzeitig ausbreiten, und zwar alles auf Rechnung des einen Hufschlages, welcher nichtsdestominder nur als ein gemeiner Hammerschlag zu betrachten ist, der nur dazu dient, den Kasten deines eigenen Wesens aufzutun, worin alles schon hübsch zusammengepäschelt liegt, was –«
    »Ums Himmels willen!« rief Heinrich, »vergeude nicht länger die kostbare Dauer des Hufschlages mit deinen Auseinandersetzungen, sonst ist der nur allzu kurze Augenblick vorbei, ehe ich über diese schöne Brücke im reinen bin!«
    »Eilt gar nicht! Alles, was wir für jetzo zu erleben und zu erfahren

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