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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Schießen und Trommeln aus der Ferne hob noch die tiefe Stille der unmittelbaren Nähe, ich stand still und lehnte mich ausruhend auf das Gewehr, indem ich einer halb weinerlichen, halb trotzigen Laune anheimfiel, welche mich öfter beschlichen hat gegenüber der großen Natur und welche der Bedrängten Frage nach Glück ist. Da hörte ich Schritte in der Nähe, und auf dem schmalen Felspfade, in der tiefen Einsamkeit, kam mein Feind daher, das Herz klopfte mir heftig, er sah mich stechend an und sandte mir gleich darauf einen Schuß entgegen, so nah, daß mir einige Pulverkörner ins Gesicht fuhren. Ich stand unbeweglich und starrte ihn an; hastig lud er sein Gewehr wieder, ich sah ihm immer zu, dies verwirrte ihn und machte ihn wütend, und in unsäglicher Verblendung der Gescheitheit, der vermeintlichen Dummheit und Gutmütigkeit mitten ins Gesicht zu schießen, wollte er in dichter Nähe eben wieder anlegen, als ich, meine Waffe wegwerfend, auf ihn losfuhr und ihm die seinige entwand. Sogleich waren wir ineinander verschlungen, und nun rangen wir eine volle halbe Stunde miteinander, stumm und erbittert, mit abwechselndem Glücke. Er war behend wie eine Katze, wandte hundert Mittel an, um mich zu Falle zu bringen, stellte mir das Bein, drückte mich mit dem Dom hinter den Ohren, schlug mir an die Schläfe und biß mich in die Hand, und ich wäre zehnmal unterlegen, wenn mich nicht eine stille Wut beseelt hätte, daß ich aushielt. Mit tödlicher Ruhe klammerte ich mich an ihn, schlug ihm gelegentlich die Faust ins Gesicht, Tränen in den Augen, und empfand dabei ein wildes Weh, welches ich sicher bin, niemals tiefer zu empfinden, ich mag noch so alt werden und das Schlimmste erleben. Endlich glitten wir aus auf den glatten Nadeln, welche den Boden bedeckten, er fiel unter mich und schlug das Hinterhaupt dermaßen wider eine Fichtenwurzel, daß er für einen Augenblick gelähmt wurde und seine Hände sich öffneten. Sogleich sprang ich unwillkürlich auf, er tat das gleiche; ohne uns anzusehen, ergriff jeder sein Gewehr und verließ den unheimlichen Ort. Ich fühlte mich an allen Gliedern erschöpft, erniedrigt und meinen Leib entweiht durch dieses feindliche Ringen mit einem ehemaligen Freunde. Die künstliche Verlängerung des menschlichen Armes durch eiserne Waffen ist gewiß die Hauptursache der unaustilgbaren Streitsucht; denn wenn die Männer sich von Hand zu Hand angreifen müßten, so würden sie ohne Zweifel die wilde Bestialität, nicht maskiert durch den kalten Stahl, eher innewerden und das öftere Zusammentreffen scheuen.
    Von dieser Zeit an trafen wir nie wieder zusammen; er mochte aus meiner verzweifelten Entschlossenheit herausgefühlt haben, daß er im ganzen doch an den Unrechten gerate, und vermied jetzt jede Reibung. Aber der Streit war unentschieden geblieben, und unsere Feindschaft dauerte fort, ja sie nahm zu an innerer Kraft, während wir uns in den Jahren, die vergingen, nur selten sahen. Jedes Mal aber reichte hin, den begrabenen Haß aufs neue zu wecken.
    Wenn ich ihn sah, so war mir seine Erscheinung, abgesehen von der Ursache unserer Entzweiung, an sich selbst unerträglich, vertilgungswürdig; ich empfand keine Spur von der milden Wehmut, welche sich sonst beim Anblicke eines verfeindeten Freundes mit dem Unwillen vermischt; ich fühlte den reinen Haß und daß, wie sonst Jugendfreunde für das ganze Leben, auch bei getrennten Verhältnissen, eine Zuneigung bewahren, dieser im gleichen Sinne der Dauer mein Jugendfeind sein würde. Ganz die gleichen Empfindungen mochte er bei meinem Anblicke erfahren, wozu noch der Umstand kam, daß die engere Veranlassung unserer Feindschaft, die Geschichte des Schuldbuches, für ihn an sich selbst unvergeßlich sein mußte. Er war unterdessen in ein Comptoir getreten, hatte seine eigentümlichen Fähigkeiten fort und fort ausgebildet, bewies sich als sehr brauchbar, klug und vielversprechend und erwarb sich die Neigung seines Vorgesetzten, eines schlauen und gewandten Geschäftsmannes; kurz, er fühlte sich glücklich und sah voll Hoffnung auf sein zukünftiges Selbstwirken. So kann ich mir gar wohl denken, daß die arge Enttäuschung, welche sein erster jugendlicher Versuch, ein Geschäft zu machen, erfuhr, für ihn ebenso nachhaltig schmerzlich sein mußte als einer kindlichen Dichter-oder Künstlernatur der erste verneinende Hohn, welcher ihren naiven und harmlosen Versuchen zuteil wird.
    Wir waren schon konfirmiert, er etwa achtzehn, ich siebzehn

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