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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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Tränen überließ, ohne indessen viel Geräusch zu machen; denn ich war nun völlig befreit und fast vergnügt. Sie ging tiefbewegt auf und nieder und sprach »So weiß ich nun nicht, was werden soll, wenn du dich nicht fest und für immer bessern willst!« Damit legte sie das Kästchen wieder in ihren Schreibtisch und ließ den Schlüssel desselben an dem gewohnten Ort. »Sieh«, sagte sie, »ich weiß nicht, ob du, wenn du deine paar Geldstücke noch verbraucht hättest, alsdann auch nach meinem Gelde, welches ich so sparen muß, gegriffen haben würdest; es wäre nicht unmöglich gewesen; aber mir ist es unmöglich, dasselbe vor dir zu verschließen. Ich lasse daher den Schlüssel stecken, wie bisher, und muß es darauf ankommen lassen, ob du freiwillig dich zum Bessern wendest; denn sonst würde doch alles nichts helfen, und es wäre gleichgültig, ob wir beide ein bißchen früher oder später unglücklich würden!«
    Es waren gerade etwa acht Tage Ferien, ich blieb von selbst im Hause und suchte alle Winkel auf, in denen ich den Frieden und die Ruhe der früheren Tage wiederfand. Ich war gründlich still und traurig, zumal die Mutter ihren Ernst beibehielt, ab-und zuging, ohne vertraulich mit mir zu sprechen. Am traurigsten war das Essen, wenn wir an unserm kleinen Eßtischchen saßen und ich nichts zu sagen wagte oder wünschte, weil ich das Bedürfnis dieser Trauer selbst fühlte und mir sogar darin gefiel, während meine Mutter in tiefen Gedanken saß und manchmal einen Seufzer unterdrückte.
    So verharrte ich im Hause und gelüstete nicht im mindesten ins Freie und zu meinen Genossen zurück. Höchstens betrachtete ich einmal aus dem Fenster, was auf der Straße vorfiel, und zog mich sogleich wieder zurück, als ob die unheimliche Vergangenheit zu mir heranstiege. Unter den Trümmern und Erinnerungen meines verflogenen Wohlstandes befand sich ein großer Farbenkasten, welcher gute Farbentafeln enthielt, statt der harten Steinchen, die man sonst den Knaben für Farben gibt, die aber auch den heißesten Bemühungen nicht eine wohlwollende Tinte preisgeben. Ich hatte schon durch, Meierlein erfahren, daß man nicht unmittelbar mit dem Pinsel diese Täfelchen aushöhlen, sondern dieselben in Schalen mit Wasser anreiben müsse. Sie gaben reichliche, gesättigte Tinten, ich fing an, mit selben Versuche anzustellen, und lernte sie mischen. Besonders entdeckte ich, daß Gelb und Blau das verschiedenste Grün herstellten, was mich sehr freute, daneben fand ich die violetten und braunen Töne. Ich hatte schon längst mit Verwunderung eine alte in Öl gemalte Landschaft betrachtet, welche an unserer Wand hing; es war ein Abend, der Himmel, besonders der unbegreifliche Übergang des Roten ins Blaue, die Gleichmäßigkeit und Sanftheit desselben reizte mich ungemein, ebensosehr der Baumschlag, welcher mich unvergleichlich dünkte. Obgleich das Bild unter dem Mittelmäßigen steht, schien es mir ein bewundernswertes Werk zu sein, denn ich sah die mir bekannte Natur um ihrer selbst willen mit einer gewissen Technik nachgeahmt. Stundenlang stand ich auf einem Stuhle davor und versenkte den Blick in die anhaltlose Fläche des Himmels und in das unendliche Blattgewirre der Bäume, und es zeugte eben nicht von größter Bescheidenheit, daß ich plötzlich unternahm, das Bild mit meinen Wasserfarben zu kopieren. Ich stellte es auf den Tisch, spannte einen Bogen Papier auf ein Brett und umgab mich mit alten Untertassen und Tellern; denn Scherben waren bei uns nicht zu finden. So rang ich mehrere Tage lang auf das mühseligste mit meiner Aufgabe; aber ich fühlte mich glücklich, eine so wichtige und andauernde Arbeit vor mir zu haben, vom frühen Morgen bis zur Dämmerung saß! ich daran und nahm mir kaum Zeit zum Essen. Der Frieden, welcher in dem gutgemeinten Bilde atmete, stieg auch in meine Seele und mochte von meinem Gesichte auf die Mutter hinüberscheinen, welche am Fenster saß und nähte. Noch weniger, als ich den Abstand des Originales von der Natur fühlte, störte mich die unendliche Kluft zwischen meinem Werke und seinem Vorbilde. Es war ein formloses, wolliges Geflecksel, in welchem der gänzliche Mangel jeder Zeichnung sich innig mit dem unbeherrschten Materiale vermählte; wenn man jedoch das Ganze aus einer tüchtigen Entfernung mit dem Ölbilde vergleicht, so kann man noch heute darin einen nicht ganz zu verkennenden Gesamteindruck finden. Kurz, ich wurde zufrieden über meinem Tun, vergaß mich und fing

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