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Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
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bestimmt, welche sich später dem Gewerb-oder Handelsstande widmen wollten; daher wurde in den niederen Klassen, durch welche ich gelangte, außer dem Deutschen nur Französisch und Italienisch gelehrt. Letztere beiden bestritt ich ohne Mühe, indem ich, über die grammatikalischen und Vokabelnaufgaben flüchtiger hinwegeilend, durch die Geläufigkeit in der Muttersprache unterstützt, leicht erriet und daher gut ins Deutsche übersetzte. Sollte ich dagegen von diesem in die fremden Sprachen übersetzen, so kam mir eine große Geschicklichkeit im augenblicklichen Nachschlagen zustatten, da ich einmal sogleich fühlte, was tauglich und wo es zu suchen sei. Dies täuschte die Lehrer, daß sie mich überall für gut beschlagen hielten, mich zu denen zählten, welchen man weniger aufmerken müsse, und zufrieden waren, wenn ich die Übersetzungen und Stilübungen pünktlich und erträglich einlieferte. Mein deutsches Lernen hingegen konnte gar keine Arbeit, sondern nur ein Vergnügen genannt werden.
    Schon vor Jahren in der ersten Schule hatte ich Orthographie und Interpunktion mir vollkommen angeeignet und wie man sprechen lernt.
    Nachher hielt meine kleine Schreibkunst mit meiner Erfahrung Schritt, und was ich sagen wollte, konnte ich richtig niederschreiben und wunderte mich, wie gerade dies so viele Schüler in Verzweiflung setzte. Stilkünste und Wendungen merkte ich aus den gelesenen Büchern; was mir, nach meinem jeweiligen Geschmacke, auffiel, das wandte ich aus Nachahmungstrieb an, bis ich besser unterscheiden lernte. Daher fielen meine Aufsätze umfangreich und überschwenglich aus, ich schriftstellerte förmlich darin mit großer Liebhaberei und erschöpfte jedesmal den Stoff nach allen Seiten, soweit der Verstand reichte. Während meines Besuches der Schule waren sich zwei verschiedene deutsche Lehrer gefolgt. Der erste war ein patriotischer Mann, welcher uns mit Begeisterung die Schweizergeschichte vorerzählte und stückweise als Stoff zu schriftlichen Arbeiten aufgab. Dieser Stoff war mir zu knapp, da er jedesmal nur für zwei oder drei Seiten berechnet war und ich hier füglich nicht viel hinzutun konnte. Ich half mir mit allerlei Schilderungen der Lokalitäten und Personen, welche etwas seltsam und unnütz ausfielen und den Lehrer aufmerksam machten. Als wir zur Geschichte des Tell kamen, hatte ich das Schillersche Drama schon gelesen und glaubte mich im Besitze besonderer Quellen. Mein Aufsatz war eine prosaische Wiedererzählung des Gedichtes und besonders die Liebesgeschichte weitläufig ausgemalt. Als der Lehrer mit den durchgesehenen Heften in die Stunde und die Reihe des Beurteilens an mich kam, fragte er mich freundlich, wo ich diese und jene Umstände hergenommen hätte. Ich fürchtete unrecht getan zu haben und schwieg auf sein wiederholtes Andringen hartnäckig still. Beim Nachhausegehen forderte er mich auf, nächstens zu ihm in sein Haus zu kommen. Ich war ihm sehr zugetan und ahnte wohl, daß mir Gutes geschehen sollte; aber ich war zu schüchtern und ging nicht hin. Der Mann starb, und ein anderer folgte auf ihn, welcher die Aufgaben aus dem Leben griff und uns anwies, die verschiedenen Vorkommnisse desselben zu beschreiben. So mußten wir einmal unsere Ferienreise aufzeichnen; ich hatte keine gemacht, sondern die ganze Zeit über bei der Mutter hinter dem Ofen gesessen, erfand aber ein ganzes Heft voll mutwilliger Abenteuer, welche in dem witzelnden Jargon irgendeines satirischen Buches, das ich gelesen, gehalten waren. Ein andermal sollten wir einen vom Gewitter überfallenen Jahrmarkt schildern; auch dieser Aufsatz spann sich mir sehr lang aus, steckte aber so voller Possen, daß ich ihn sowenig eingab wie jene Ferienreise. Der Lehrer fragte aber gar nicht darnach, weil er wußte, daß ich alles konnte, was er von dieser Klasse verlangte, und da ich mich sonst still hielt, ließ er mich gänzlich in Ruhe und tat, als ob ich nicht da wäre, so daß ich während seiner Stunden immer las. Gelegentlich wurde ich etwa aufgerufen, um irgendeinen lateinischen Ausdruck der Grammatik zu sagen; diese hatte ich aber längst vergessen und kenne sie auch jetzt nicht, weil ich ohne sie oder vielmehr neben ihr vorbei schreiben gelernt hatte. Doch der Lehrer hielt mein Schweigen für Vorsätzlichkeit und war froh, mich gelinde bestrafen zu können, um mich nicht zu stolz werden zu lassen.
    Er war ein Schöngeist und diktierte uns dann und wann als Leckerbissen eine Stelle aus einem deutschen Klassiker,

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