Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Der gruene Heinrich [Erste Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Erste Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
welche für uns zugänglich war.
    Solche Bruchstücke ließen mich das Untaugliche alles übrigen Treibens lebhaft fühlen; ich schrieb sie sorglich ins reine, las sie wieder und arbeitete sogleich in dem betreffendern Stile. In der Schule sah ich voll Sehnsucht auf die schöngebundenen Bücher, die der kühle Mann mitbrachte, und nahm mir fest vor, diesmal zu ihm zu gehen, wenn er mich etwa einladen würde wie der Verstorbene. Er starb indessen auch, ohne es je getan zu haben; entweder liebte er dergleichen nicht oder war überzeugt, daß ich für einmal genug Deutsch verstände.
    Nicht so gut erging es mir mit dem übrigen Lernen. In allen Schulen, wo kein Latein getrieben wird, betrachtet man den Unterricht als einen Dampf, der möglichst rasch durch das Gehirn der Jugend gejagt werden müsse, um wieder zu verfliegen. Dies einmal und nie wieder Hören der Gegenstände, dies regelmäßige und vollkommene Vergessen dessen, was die einzelnen Naturen in den Jahren des Unverstandes nicht ansprach und was sie später doch so gerne wissen möchten, hat etwas Grauenhaftes in sich; es ist, als ob dies Unkraut nur da wäre, um auch das zu beeinträchtigen und zu schmälern, was man wirklich versteht und gerne lernt. Es sind vielleicht nicht die schlechteren Gewächse der Schule, welche für das, dessen Zweck sie einstweilen nicht einsehen, böswilligst keinen Sinn zeigen und beharrlich darin nichts tun, und es fragt sich, ob manche Lehre nicht erst dann begonnen werden sollte, auch in ihren Anfängen, wenn man imstande ist, den großen und erhabenen Endzweck klar und eindringlich zu machen. Die meisten Schulmänner haben ihr Leben lang nichts getrieben als das Fach, in welchem sie vierzehnjährige Knaben unterweisen sollen. Von frühster Jugend an haben sie besondere Neigung dafür gezeigt, dann studierten sie, hörten das gleiche Thema drei-, viermal bei verschiedenen Lehrern, reisten und hörten es wieder, lasen nichts anderes! als was davon handelte, und nun treten sie vor die Jugend und verlangen von ihr, daß sie aus einigen trockenen, grämlichen Einleitungsworten die ganze Einsicht und Begeisterung für eine lange Reihe von Unterrichtsstunden schöpfe und ebenso überzeugt sei von der Klarheit und Notwendigkeit jedes Punktes als sie selbst von ihrer Weisheit. Die Kinder des Latein und des Griechisch, der Student, werden freilich gehätschelt und gepflegt, damit die Kaste nicht ausgehe; aber alle Lehrer, welche in den geheiligten Mauern nicht unterkommen können, betrachten sich auf den Profanschulen als unglückliche Verbannte, welche Perlen vor die Säue zu werfen haben. Ich habe auch Schulmänner gesehen, deren Lebensaufgabe darin bestand, die Volkserziehung zu verbessern. Tag und Nacht arbeiteten sie daran, reisten herum auf Kongressen, schrieben Bücher und führten Polemik; ein inneres Feuer verzehrte sie. Was Wunder, wenn sie verdrießlich und einsilbig in die Stunde kamen und ängstlich darüber wegeilten, um nur wieder an die Lösung ihres einen Rätsels gehen zu können?
    Man begann uns Weltgeschichte zu diktieren, und unzählige Namen orientalischer Urvölker schwirrten an uns vorüber, während wir gleichzeitig die Geographie von Europa betrieben, von dessen Bewohnern wir nichts vernahmen zu selber Zeit, und als die Sache umgekehrt wurde, hatten die meisten die entsprechende Kenntnis schon gründlich vergessen oder wußten sie nicht anzuwenden; denn eben diese Einsicht kommt erst mit der reiferen Jugend, welcher die Welt anfängt deutlich und wichtig zu werden.
    Die Lehrer der verschiedenen mathematischen Übungen begannen ihren Kursus, mit wenigen Ausnahmen, durch einige magere Worte über den Sinn des Titels und begannen dann unaufhaltsam die Sache selbst, vorwärtsschreitend, ohne umzusehen, ob einer mit dem Verständnis zurückbleibe oder nicht. Daher gab es unter vierzig Schülern vielleicht höchstens drei, welche von dem Gegenstande am Schlusse eine wirkliche Rechenschaft geben konnten, solche, deren Neigungen und Fähigkeiten er entsprach. Die übrigen schleppten sich entweder mit mühseliger Aufmerksamkeit und angstvollem Fleiße von Stunde zu Stunde, ohne je recht klar zu sein, oder sie ließen gleich im Anfange die Hoffnung sinken und sich regelmäßig bestrafen. Was ich selbst tat, weiß ich kaum mehr zu sagen; ich lebte fortwährend wie in einem quälenden Traume. Manchmal hatte ich den Faden einige Tage hindurch wieder erwischt, dann verlor ich ihn plötzlich wieder, freilich durch eigene

Weitere Kostenlose Bücher