Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung] Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gottfried Keller
Vom Netzwerk:
zusammen sind die Identität, sonst spräche man ja nicht davon!«
    »Der Nation?«
    »Der Nation, versteht sich!«
    »Also ist die Brücke auch eine Nation?«
    »Ei, seit wann«, rief das Pferd unwillig, »kann denn ein Vehikel, so schön es ist, eine Nation sein? Nur Leute können eine sein, folglich sind es die Leute hier!«
    »So! und doch sagtest du soeben, die Nation und die Brücke machen zusammen eine Identität aus!«
    »Das sagt ich auch und bleibe dabei!«
    »Nun also?«
    »Wisse«, antwortete der Gaul bedächtig, indem er sich auf allen vieren spreizte, »wisse, wer diese heikle Frage zu beantworten und den Widerspruch zu lösen versteht, der ist ein Meister und arbeitet an der Identität selber mit.
    Wenn ich die richtige Antwort, die mir wohl so im Munde herumläuft, rund zu formulieren verstände, so wäre ich nicht ein Pferd, sondern längst hier an die Wand gemalt. Übrigens erinnere dich, daß ich nur ein von dir geträumtes Pferd bin und also unser ganzes Gespräch eine Ausgeburt und Grübelei deines eigenen Gehirnes ist. Mithin magst du fernere Fragen dir nur selbst beantworten aus der allerersten Hand!«
    »Ha! du widerspenstige Bestie!« schrie ich und stieß dem Tiere die Fersen in die Weichen, »um so mehr, du undankbarer Klepper, bist du mir zu Red und Antwort verpflichtet, da ich dich aus meinem so mühselig ergänzten Blute erzeugen und diesen Traum lang speisen und nähren muß!«
    »Hat auch was Rechtes auf sich!« sagte das Pferd gelassen. »Dieses ganze Gespräch, überhaupt unsere ganze werte Bekanntschaft ist das Werk und die Dauer von kaum drei Sekunden und kostet dich kaum einen Hauch von deinem geehrten Körperlichen!«
    »Wie, drei Sekunden? Ist es nicht wenigstens eine Stunde, seit wir auf dieser endlosen Brücke reiten?«
    »Drei Sekunden dauert der Hufschlag des nächtlichen Reiters, der meine Erscheinung in dir hervorgerufen; mit ihm wird sie verschwinden, und du kannst wieder zu Fuß gehen!«
    »Um des Himmels willen! So verliere keine weitere Zeit, sonst geht der Augenblick vorüber, eh ich über diese schöne Brücke im reinen bin!«
    »Es eilt gar nicht! Alles, was wir für jetzt zu erleben und zu erfahren haben, geht vollkommen in das Maß des wackern Pferdetrittes hinein, und wenn der richtig denkende Psalmist den Herren seinen Gott anschrie: ›Tausend Jahre sind vor dir wie ein Augenblick!‹ so ist diese Hypothese von hinten gelesen eine und dieselbe Wahrheit: Ein Augenblick ist wie tausend Jahre! Wir könnten noch tausendmal mehr sehen und hören während dieses Hufschlages, wenn wir nur das Zeug dazu in uns hätten, lieber Mann! Alles Drängen oder Zögern hilft da nichts, alles hat seine bequemliche Erfüllung, und wir können uns ganz gemächlich Zeit lassen mit unserm Traum, er ist, was er ist, und nicht mehr noch minder!«
    Ich hörte nicht länger auf die Reden des Pferdes, weil ich bemerkte, daß ich von allen Seiten mit biederer Achtung begrüßt wurde; denn schon mehr als einer der Vorübergehenden hatte mit eigentümlichem Griffe meinen strotzenden Mantelsack betastet, ungefähr wie die Metzger tun, wenn sie in den Bauernställen oder auf Märkten ein Stück Rindvieh auf seine Fettigkeit prüfen und ihm Kreuz und Lenden bekneifen.
    »Das sind ja absonderliche Manieren!« sagte ich endlich; »ich glaubte, es kenne mich kein Mensch hier!«
    »Es gilt auch nicht dir«, meinte der Goldfuchs, »sondern deinem Quersack, deiner dicken Goldwurst, die mir das Kreuz drückt!«
    »So? also das ist die Lösung und das Geheimnis deiner ganzen Identitätsfrage, das gemünzte Gold? Denn du bist ja aus gleichem Stoffe, ohne daß dich ein einziger betastet!«
    »Hm!« machte das Pferd, »das ist nicht so genau zu nehmen. Die Leute haben allerdings ihr Augenmerk darauf gerichtet, ihre Identität, die sie in diesem Falle Unabhängigkeit nennen, zu behaupten und gegen jeglichen Angriff zu verteidigen. Nun wissen sie aber, daß ein kampffähiger guter Soldat wohlgenährt sein und ein Frühstück im Magen haben muß, wenn er sich schlagen soll. Da dies aber nur durch allerhand Gemünztes zu erreichen und zu sichern ist, so betrachten sie jeden, der damit versehen, als einen gerüsteten Verteidiger und Unterstützer der Identität und sehen ihn drum an. Da läuft es denn freilich mit unter, daß sie ihre Privatsachen mit den öffentlichen Dingen für identisch halten, wie man denn in der Übung jeglicher Energie nicht leicht zuviel tun kann, und so gewinnt dieser oder jener das

Weitere Kostenlose Bücher