Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
saurer Mühe, das Zeug in den Bach zu werfen, wo es aber durchaus nicht weiterschwimmen wollte, sondern sich auf der gleichen Stelle gemächlich herumdrehte. Ich erwischte eine vermorschte Bohnenstange und quälte mich, die dämonischen Fetzen in die Strömung zu stoßen; aber die Stange brach und brach immer wieder bis auf das letzte Stümpfchen.
Da berührte ein Hauch meine Wangen, und Anna stand vor mir und führte mich in das Haus. Ich stieg Hand in Hand mit ihr die Treppe hinauf und trat in die Stube, wo der Oheim, die Tante, die Basen und Vettern sämtlich versammelt waren. Aufatmend sah ich mich um die alte Stube war sonntäglich geputzt und so sonnenhell, daß ich nicht begriff, wo all das Licht durch den dichten Efeu hindurch herkomme. Oheim und Tante waren in ihren besten Jahren, die Bäschen und Vettern blühender als je, der Schulmeister ebenfalls ein schöner Mann und aufgeräumt wie ein Jüngling, und Anna sah ich als Mädchen von vierzehn Jahren im rotgeblümten Kleide mit der lieblichen Halskrause.
Was aber sehr sonderbar war, alle, Anna nicht ausgenommen, trugen lange irdene Pfeifen in den Händen und rauchten einen wohlriechenden Tabak, und ich desgleichen. Dabei standen sie, die Verstorbenen und die Lebendigen, keinen Augenblick still, sondern gingen mit freundlich frohen Mienen unablassig die Stube auf und nieder, hin und her, und dazwischen niedrig am Boden hin die Jagdhunde, das Reh, der zahme Marder, Falken und Tauben in friedlicher Eintracht, nur daß die Tiere den entgegengesetzten Strich der Menschen verfolgten und so ein wunderbares Gewebe durcheinanderlief.
Der schwere Nußbaumtisch auf seinen gewundenen Füßen war mit einem weißen Damasttuche gedeckt und mit einem aufgerüsteten duftenden Hochzeitessen besetzt. Mir wässerte der Mund, und ich sagte zum alten Oheim: »Ei, ihr scheint euch da recht wohl sein zu lassen!« – »Versteht sich!«
erwiderte er, und alle wiederholten: »Versteht sich!« mit angenehm klingenden Stimmen. Plötzlich befahl der Oheim, daß man zu Tische sitze; alle stellten die Pfeifen pyramidenweise zusammen auf den Boden, je drei und drei, wie Soldaten ihre Gewehre. Darauf schienen sie schon wieder zu vergessen, daß sie essen gewollt; denn sie gingen zu meinem Verdrusse nach wie vor umher und fingen allmählich an zu singen:
»Wir träumen, wir träumen,
Wir träumen und wir säumen,
Wir eilen und wir weilen,
Wir weilen und wir eilen,
Sind da und sind doch dort,
Wir gehen bleibend fort,
Wem konveniert es nicht?
Wie schön ist dies Gedicht!
Hallo, hallo!
Es lebe, was auf Erden stolziert in grüner Tracht, Die Wälder und die Felder, die Jäger und die Jagd!«
Weiber und Männer sangen mit rührender Harmonie und Lust, und das Hallo stimmte der Oheim mit gewaltiger Stimme an, daß die ganze Schar mit verstärktem Gesange darein tönte und rauschte und zugleich, blaß und blässer werdend, sich in einen wirren Nebel auflöste, während ich bitterlich weinte und schluchzte. Ich erwachte in Tränen gebadet, und auch das Kopfkissen war davon benetzt. Als ich mich mit Mühe gesammelt, war das erste, dessen ich mich erinnerte, der wohlgedeckte Tisch; denn ich hatte nach den Eröffnungen des Landsmannes am Abend nichts mehr essen können und war erst im Schlafe wieder hungrig geworden. Wie ich nun die Gier bedachte, mit welcher ich trotz des Schmuckes der unbeherrschten Phantasie gezwungen war, schließlich immer nur von Gold und Gut, Kleidern und Essen zu träumen, brach ich über diese Erniedrigung neuerdings in Tränen aus, bis ich abermals einschlief.
Siebentes Kapitel
Weiterträumen
In einem großen Walde fand ich mich wieder und ging auf einem wunderlichen schmalen Brettersteige, welcher sich hoch durch die liste und Baumkronen wand, eine Art endlosen hängenden Brückenbaues, indessen der bequeme Boden unten nach richtiger Traumesart unbenutzt blieb. Aber es war schön, hin abzuschauen auf den Waldgrund, da er ganz aus grünem Moose bestand, das in tiefer Dunkelheit lag. Auf dem Moose wuchsen viele einzelne sternförmige Blumen auf schwankem Stengel, und sie wendeten sich immer nach dem oben gehenden Beschauer; bei jeder Blume stand ein kleines Erdmännchen oder Moosweiblein, das mittelst eines in goldenem Laternchen strahlenden Karfunkels die Blume beleuchtete, daß sie aus der Tiefe heraufschimmerte wie ein blauer oder roter Stern, und indem sich diese Blumengestirne, welche oft in schönen Bildern zusammenstanden, langsamer er oder schneller
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