Der grüne Papagei
Der grüne Papagei
Kommissar Isidor Kugelblitz hat den Zug wieder einmal in letzter Sekunde erreicht. Termine!
Termine! Gerade als er erschöpft in die Polster des Paris-Express sinkt, pfeift der Schaffner, und der Zug fährt ab. Kugelblitz starrt auf den Knopf in seiner Hand. Er ist im Gedränge der Bahnhofshalle vom Hosenbund abgeplatzt. Keine einfache Aufgabe für einen Kommissar, ihn im Gewimmel der Schuhe auf dem Boden wiederzufinden. Aber da hat er ihn. Wenn er nur schon wieder an seinem richtigen Platz säße! Kugelblitz seufzt. Im Falle eines Falles löst Kugelblitz doch alles! Schon kramt er in seinem Waschbeutel. Die Fahndung nach dem Nähzeug verläuft erfolgreich. Auch im Einfädeln ist er Weltklasse. Aber dann ist es etwas schwierig, den richtigen Überblick über die Näharbeit zu behalten, weil sich sein Bauch sehr weit vorwölbt.
„Zu viele Dienstessen gehabt in letzter Zeit“, brummt Kugelblitz ärgerlich. Gerade hat er die richtige Stelle für den Knopf gefunden und den Faden erfolgreich angebracht, da wird die Tür seines Abteils geöffnet. Kugelblitz entgleitet der kleine Knopf erneut.
„Störe ich?“, sagt eine freundliche Stimme.
„Wie Sie sehen“, knurrt Kugelblitz und bückt sich nach dem Knopf am Boden.
„Darf ich trotzdem hereinkommen?“
„Bitte sehr“, sagt Kugelblitz schlecht gelaunt. Er wäre viel lieber allein geblieben, um in Ruhe die Akten über die internationale Diamantenbande durchzuarbeiten, derentwegen er zu seinem Kollegen Pierre Simili nach Paris reist.
Welch dreiste Spitzbuben!
Durch raffinierte Einbrüche verschafften sie sich kostbare Schmuckstücke aus Privatsammlungen und Museen. Sie ersetzten die wertvollen Stücke durch billige Nachahmungen, damit der Diebstahl so schnell nicht auffiel. Die echten, seltenen Schmuckstücke, die sie in Deutschland stahlen, verkauften sie in Frankreich. Oder umgekehrt.
So war es schwer, der Diamantenbande auf die Schliche zu kommen. Jetzt waren wieder Steine aus der Schatzkammer einer Kirche verschwunden.
Kein Wunder, dass Kugelblitz hellhörig wurde, als Pierre Simili aus Paris anrief und berichtete:
„Ein Zufall und vielleicht eine Chance, mon cher Kügelblitz! Wir haben bei einem kleinen Gauner eine verschlüsselte Botschaft gefunden. Wenn ich sie recht verstehe, kommt neue, ,heiße Ware’ übermorgen mit dem Grünen Pfeil .“ Der Grüne Pfeil war der Spitzname für den Paris-Express.
Grund genug für Kommissar Kugelblitz, eine eilige Dienstreise anzusetzen. Der Zoll hatte Anweisungen, alle verdächtigen Gepäckstücke gründlicher als sonst zu untersuchen.
Das alles geht dem Kommissar durch den Kopf, als er lustlos seine Näharbeit beendet und dem Fremden nachsieht, der noch einmal das Abteil verlässt, um sein restliches Gepäck zu holen.
„Ich saß in einem Raucherabteil und konnte den Qualm nicht ertragen“, entschuldigt sich der Mann, als er den Koffer ins Gepäcknetz stemmt. Dann bringt er noch ein anderes Gepäckstück herein, das sofort die Aufmerksamkeit des Kommissars erregt.
„Sieht wie ein Vogelkäfig aus“, bemerkt Kugelblitz.
„Es ist ein Vogelkäfig“, sagt der Mann und lächelt.
Der Vogelkäfig ist mit einer dunkelgrünen Decke verhängt.
Nichts erregt die Neugier eines Kommissars so sehr wie das Verborgene.
„Und – ist ein Vogel drin?“, erkundigt er sich.
Der Mann nickt.
„Ein Wellensittich?“
Der Mann zögert. Kugelblitz’ Neugier scheint ihn ein wenig zu nerven.
„Nein, es ist ein Kakadu – äh – ich meine, ein Papagei.“
Kugelblitz kann sich nicht beherrschen und sagt: „Darf ich mal?“
Noch ehe der Fremde protestieren kann, hat er einen schnellen Blick unter die Decke geworfen. „Tatsächlich“, murmelt er erstaunt.
„Ein grasgrüner Papagei!“
„Dies ist ein ganz außergewöhnliches Exemplar“, belehrt ihn der Fremde. „Nicht nur äußerlich.“
„Wie meinen Sie das?“
„Er spricht sieben Sprachen.“
„Das kann ich nicht glauben“, entgegnet Kugelblitz verblüfft.
„Aber Sie können mir glauben. Ich bin Vogelexperte.“
Und wie auf Kommando krächzt der grüne Papagei: „Guten Tag – bonjour – good morning, Sir!“
„Donnerwetter!“, staunt Kugelblitz. „Da muss ich Ihnen unbedingt mal den Hansi meiner Großtante vorbeibringen. Sie quält sich schon seit dreizehn Jahren mit ihm ab, und er spricht noch keinen einzigen Ton.“
„Diese Vögel sind eben alle sehr eigenwillig“, sagt der Vogelbesitzer.
Lautlos öffnet sich
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