Der grüne Stern
zwischen uns wie eine zornige Leopardin, die ihr bedrohtes Männchen verteidigt. Sligon hielt verdutzt inne; und bevor er begreifen konnte, was gespielt wurde, zuckte er grunzend zusammen. Siona hatte ihm ihren Dolch in die Brust gestoßen!
Sligon neigte seinen Kopf und blickte an sich herab, wo ein dunkler, sich rasch ausbreitender Fleck sein Wams färbte. Sein schwartiges, eben noch gerötetes Gesicht wurde plötzlich wie schmutziges Wachs. Er wimmerte, tief in seiner Kehle, und seine rechte Hand krallte unbeholfen nach der Stelle, wo sie ihn verwundet hatte; dann gaben seine Knie nach, und er fiel vornüber aufs Gesicht.
So starb Sligon der Verräter. Sein Verrat hatte ihm selbst den Tod gebracht …
Ich fand keine Zeit, über die Gründe von Sionas impulsiver Tat nachzudenken. Im Nu war ich wieder auf den Beinen, umfaßte sie von hinten mit dem linken Arm, zog sie an mich und setzte die Schneide des Buschmessers an ihre Kehle. Sie bewegte sich nicht, machte keinen Versuch, sich zu befreien, sondern lag schweratmend in meinem Arm. Ich drehte sie herum und überblickte die Menge. Zwei Gruppen kampfbereiter Männer näherten sich von beiden Seiten, entschlossen, sich auf mich zu stürzen.
»Einen Schritt weiter, und Siona stirbt«, sagte ich grimmig. Sie machten halt und beobachteten mich. Mein Gesicht trug vermutlich den Ausdruck finsterer Entschlossenheit, aber ich kann bis zur Stunde nicht sagen, ob ich damals meine Drohung tatsächlich ausgeführt hätte. Ich rede mir gern ein, daß ich es nicht getan hätte -schließlich hatte Siona mir mein Leben gerettet –, ja überhaupt nicht imstande sei, eine Frau zu töten, nicht einmal meine schlimmste Feindin.
Glücklicherweise blieb mir diese Gewissensprobe erspart. Sionas Leute und die Fremden rührten sich nicht. Niamh eilte an meine Seite, bevor einem der Männer einfiel, sie als Gegengeisel festzuhalten. Sie war blaß und aufgeregt, aber unerschrocken. Sie bückte sich und hob Sligons Jagdmesser auf.
Meine seltsame Schwäche nahm weiter zu. Mein Arm war wie aus Blei und konnte das schwere Buschmesser kaum noch halten, meine Muskeln schmerzten und zitterten. Aber jetzt war nicht die Zeit, an mich selbst zu denken; in den nächsten Minuten würden wir frei sein – oder tot.
»Wir gehen hinaus«, sagte ich laut in die nur vom Knistern des Feuers unterbrochene Stille. »Sollten wir behindert werden, wird Siona sterben. Gewährt ihr uns freien Abzug, werde ich sie unverletzt freilassen.«
Niemand antwortete.
»Geh voraus«, sagte ich leise zu Niamh, »und halt die Augen offen.«
Wir verließen die Plattform, wo Sligons Leichnam in einer Blutlache lag, und gingen direkt zum Ausgang. Die Männer traten stumm zur Seite und ließen uns passieren. Dies war der kritische Augenblick, und als wir durch die Gasse der verschlossenen Gesichter gingen, wandten sich meine Blicke ständig von einer Seite zur anderen, in nervöser Wachsamkeit auf jede noch so kleine Bewegung achtend. Aber niemand wagte uns aufzuhalten und Sionas Leben aufs Spiel zu setzen.
Draußen umgab uns undurchdringliche Dunkelheit, und es dauerte eine Weile, bis unsere Augen sich daran gewöhnt hatten und vage Konturen ausmachen konnten. Wir fanden die aus Ästen und Blättern gebauten Schuppen, in denen die Reitlibellen untergebracht waren, und ich beauftragte Niamh, zwei Tiere für uns zu satteln. Das war in der Dunkelheit keine leichte Aufgabe, und für Niamh mußte sie doppelt schwierig sein, weil sie noch nie ein Reittier hatte satteln müssen.
Sie schien eine Ewigkeit zu brauchen. Siona hatte noch immer kein Wort gesagt und hing ruhig und wie ergeben in meinem Arm. Das Warten war nervenaufreibend. Ich spähte und lauschte in die Dunkelheit, und je länger ich dort stand, desto mehr verstohlene kleine Geräusche hörte ich in der Nacht – den Wind in den Blättern, das leise Knarren der Äste, die raschelnden Bewegungen der Libellen und viele andere, die ich nicht einwandfrei identifizieren konnte. Meine Fantasie bevölkerte die Umgebung mit hundert rachedurstigen Waldläufern, die uns im Schutz der Dunkelheit einkreisten. Doch nichts geschah.
Einmal in der Luft, könnte uns in finsterer Nacht keine Macht der Welt wieder einfangen. Sionas Leute mochten suchen, soviel sie wollten, sie würden uns nicht finden. Wir könnten in jede Richtung fliegen, eine höhere oder tiefere Ebene wählen, hätten die Wahl zwischen zehntausend Verstecken – und bis zum Morgengrauen wäre unser Vorsprung
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