Der grüne Strahl
ausdehnte, könnte es kommen, daß die Sonne, welche jetzt nach Westen zu zurückweicht, endlich hinter der Insel Colonsay, der Insel Oronsay oder gar hinter Groß-Islay verschwände und aus Mangel an hinreichendem Rundblick jede Beobachtung unmöglich machte.
– Wahrhaftig, sagte Miß Campbell, das wäre der letzte Schlag des neidischen Geschicks…
– Dem wir sehr leicht entgehen können, indem wir eine mehr außerhalb des Archipels der Hebriden gelegene Station aufsuchen, vor der sich der Atlantische Ocean in voller Unendlichkeit ausbreitet.
– Und wäre Ihnen eine solche bekannt, Herr Sinclair?« fragte Miß Campbell lebhaft.
Die Brüder Melvill hingen gespannt an den Lippen des jungen Mannes.
Was würde er antworten? Wohin, zum Teufel, würde sie die Phantasie ihrer Nichte zuletzt noch verschleppen?
Die Antwort Olivier Sinclair’s brachte auf sie jedoch eine beruhigende Wirkung hervor.
»Miß Campbell, sagte er, nicht weit von hier liegt eine Station, die mir alle günstigen Bedingungen zu vereinigen scheint. Sie befindet sich hinter jenen Höhen der Insel Mull welche den Horizont im Westen von Oban begrenzen. Es ist eine der kleinen Hebriden, die am weitesten in den Atlantischen Ocean vorgeschoben liegt, die reizende Insel Jona.
– Jona, rief Miß Campbell, Jona, meine Herren Onkels, und da sind wir noch nicht?
– Morgen werden wir da sein, erwiderte Bruder Sib.
– Morgen noch vor Sonnenuntergang, fügte Bruder Sam hinzu.
– So begeben wir uns dorthin, erklärte Miß Campbell, und wenn wir auch in Jona unerwarteter Weise einen nicht hinreichend ausgebreiteten Horizont antreffen, so wißt, liebe Onkels, daß wir nach einem anderen Punkt der Küste suchen werden, von John O’Groats am nördlichen Ende Schottlands bis nach Land’s End, an der Südspitze Englands, und wenn selbst das noch nicht hinreichend sein sollte…
– Das ist ganz einfach, fiel Olivier Sinclair ein, dann fahren wir eben um die ganze Erde!«
Dreizehntes Capitel.
Die Wunder des Meeres.
Wer sich ganz verzweifelt stellte, als er den Entschluß seiner Gäste erfuhr, das war der Wirth des Caledonian-Hôtels. Als ob Meister Mac Fyne, wenn er es gekonnt hätte, alle die Inseln und Eilande nicht hätte sprengen lassen, welche in Oban die Aussicht auf das Meer beschränkten! Er tröstete sich übrigens, sobald sie abgereist waren, unter dem Ausdruck des größten Bedauerns, eine solche Familie von Monomanen beherbergt zu haben.
Um acht Uhr des Morgens schifften sich die Brüder Melvill, Miß Campbell, Frau Beß und Patridge auf dem »Swift Steamer Pioneer« – so lautete es im Prospect – ein, der die Insel Mull umsegelt, dabei in Jona und auf Staffa anlegt und gegen Abend wieder in Oban eintrifft.
Olivier Sinclair befand sich schon vor seinen Begleitern am Hasen an der Pfahlbrücke und erwartete Jene auf der Commandobrücke, welche von einem Radkasten des Dampfers zum andern reichte.
Von Aristobulos Ursiclos war bezüglich dieser Reise keine Rede. Die Brüder Melvill hatten inzwischen geglaubt, ihn von der plötzlichen Ortsveränderung benachrichtigen zu sollen. Die einfachste Höflichkeit verlangte diesen Schritt, und sie gehörten zu den höflichsten Leuten von der Welt.
Aristobulos Ursiclos hatte die Mittheilung der beiden Onkels ziemlich kühl angehört, und sich einfach begnügt, ihnen zu danken, ohne etwas von seinen eigenen Projecten zu erwähnen.
Die Brüder Melvill zogen sich darauf zurück, indem sie sich wiederholten, daß, wenn ihr Günstling sich so äußerst reservirt zeigte, und wenn Miß Campbell gegen ihn jetzt auch eine gewisse Abneigung fühlen mochte, das alles in Folge eines einzigen schönen Herbstabends vorübergehen werde, wenn nur ein reiner Sonnenuntergang sich gefunden hatte, mit dem die Insel Jona hoffentlich nicht geizen wurde.
Als alle Passagiere an Bord waren, wurden die Sorrtaue beim dritten Ertönen der Dampfpfeife losgeworfen, und der »Pioneer« glitt in der Richtung nach Süden davon, aus der Bai hinaus und nach der Meerenge von Kerrera zu.
Er führte an Bord eine gewisse Anzahl jener Touristen, welche zwei-oder dreimal in jeder Woche diese reizende Rundfahrt um die Insel Mull, die nur zwölf Stunden in Anspruch nimmt, herbeilockte. Miß Campbell und ihre Gefährten sollten denselben jedoch schon beim ersten Landungsplatz verlassen.
Es verlangte sie wirklich, in Jona, d. h. auf ihrem neuen Beobachtungsfelde, anzukommen. Das Wetter war prächtig und das Meer still wie ein Landsee.
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