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Der grüne Strahl

Der grüne Strahl

Titel: Der grüne Strahl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ihres innigsten Wunsches vereitelt hatte, braucht wohl kaum geschildert zu werden.
    Bruder Sam und Bruder Sib vergaßen, aller Regeln gewöhnlicher Höflichkeit uneingedenk, sogar Olivier Sinclair und Aristobulos Ursiclos einander vorzustellen. Vor der bemerkbaren Unzufriedenheit Helenas senkten sie lieber die Augen, um den Prätendenten ihrer Wahl womöglich gar nicht zu sehen.
    Die kleinen Hände geballt, die Arme über die Brust gekreuzt und die Augen feuersprühend, sah Miß Campbell ihn an, ohne ein Wort zu sprechen. Endlich entfuhren ihrem Munde die Worte:
    »Herr Ursiclos, Sie hätten auch besser gethan, nicht gerade zur rechten Zeit zu kommen, um eine Dummheit zu begehen.«
Fußnoten
    1 »Die alte Eingeräucherte«, ein Spitzname Edinburghs.
Zwölftes Capitel.
Neue Pläne.
    Die Rückfahrt nach Oban erfolgte unter weit weniger angenehmen Verhältnissen, als die Fahrt nach der Insel Seil. Man hatte geglaubt, einem Erfolge entgegen zu gehen, und kam von einem Mißerfolge zurück.
    Wenn die Enttäuschung, welche Miß Campbell empfand, durch irgend etwas gelindert werden konnte, so war es dadurch, daß Aristobulos Ursiclos die Ursache derselben bildete. Sie gewann dadurch das Recht, ihm, dem großen Verbrecher, ihre Meinung zu sagen und sein Haupt mit Verwünschungen zu bedecken. Daran ließ sie es denn auch nicht fehlen. Die Brüder Melvill wären schlecht angekommen, wenn sie ihn hätten vertheidigen wollen. Nein, es war fast nothwendig gewesen, daß das Boot mit dem Tölpel, an den man in jenem Augenblick gar nicht dachte, gerade denjenigen Punkt am Horizonte einnehmen mußte, wo er denselben in dem Augenblick bedeckte, an dem die Sonne ihren letzten leuchtenden Strahl aussandte. Das waren Dinge, welche jede Verzeihung ausschlossen.
    Es versteht sich von selbst, daß Aristobulos Ursiclos, der sich zur Entschuldigung obendrein erlaubt hatte, über die ganze Geschichte mit dem Grünen Strahl zu spötteln, nach dieser zornerfüllten Predigt wieder nach der Schaluppe entwichen war, um nach Oban zu gelangen. Er handelte darin sehr weise, denn höchst wahrscheinlich hätte man ihm doch keinen Platz in der Kalesche angeboten, nicht einmal den dahinter schwebenden Dienersitz.
    Zweimal war der Sonnenuntergang also unter Verhältnissen vor sich gegangen, die es gestattet hätten, das ersehnte Phänomen zu beobachten, und zweimal hatte sich das begierige Auge der Miß Campbell den glühenden Liebkosungen des Gestirns ausgesetzt, von welchen sie als Nachwehen mehrere Stunden lang eine bemerkbare Störung der Sehfähigkeit davontrug. Zuerst hatte die Rettung Olivier Sinclair’s und heute das Vorüberkommen Aristobulos Ursiclos’ ihr die günstige Gelegenheit geraubt, welche vielleicht in langer Zeit nicht wiederkehrte. In beiden Fällen freilich waren die begleitenden Umstände nicht die nämlichen gewesen, und so sehr Miß Campbell den Einen entschuldigte, eben so sehr zürnte sie nun dem Andern. Wer könnte sie deshalb der Parteilichkeit zeihen?
    Am folgenden Morgen lustwandelte Olivier Sinclair, etwas in Gedanken versanken, am Strande.
    Wer war dieser Herr Aristobulos Ursiclos? Ein Verwandter der Miß Campbell und der Brüder Melvill oder nur ein Freund von ihnen? Auf jeden Fall stand er mit der Familie auf vertrautem Fuße; das bewies schon die Art und Weise, wie Miß Campbell sich hatte gehen lassen, als sie ihm seine Ungeschicktheit vorwarf. Doch was ging ihn, Olivier Sinclair, das überhaupt an? Wollte er wissen, woran er sei, so brauchte er ja nur Bruder Sam oder Sib zu fragen; aber gerade das verbot er sich selbst und that es auch wirklich nicht.
    Die Gelegenheit dazu fehlte ihm natürlich nicht.
    Jeden Tag begegnete Olivier Sinclair den Brüdern Melvill, die entweder zusammen lustwandelten – wer hätte sich überhaupt schmeicheln können, je einen derselben allein gesehen zu haben? – oder von ihrer Nichte begleitet waren, am Ufer des Meeres. Man plauderte von Tausenderlei, und vorzüglich von der Witterung, was im vorliegenden Falle durchaus keine Aushilfe war, etwas zu sprechen, ohne etwas zu sagen. Würde es noch einmal einen so klaren Abend geben, wie man einen erwartete, um wieder nach der Insel Seil zu fahren? Daran konnte man vielleicht zweifeln. Seit den tadellos schönen Tagen des 2. und des 14. August zeigte der Himmel stets ein ungewisses Aussehen, mit Regenwolken, gelegentlichem Wetterleuchten und abendlichen Nebeln – mit allen Unarten, die einen jungen Astronomen zur Verzweiflung gebracht

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