Der grüne Strahl
hätten, wenn dieser, am Objectivglas seines Fernrohrs sitzend, einen Bruchtheil der Himmelskarte hätte durchmustern wollen.
Warum sollten wir nicht zugestehen, daß der junge Maler sich jetzt ebenso wie Miß Campbell von dem Grünen Strahl hatte einnehmen lassen? Er ritt ganz dasselbe Steckenpferd wie das junge Mädchen; er ergab sich dieser Phantasie mit nicht weniger Hitze, um nicht zu sagen, mit nicht weniger Ungeduld, wie seine junge Gefährtin. O, er war kein Aristobulos Ursiclos, der, den Kopf in den Wolken der Wissenschaft verborgen, für eine einfache, optische Erscheinung nichts wie Verachtung hatte. Beide verstanden sich und Beide wollten nun einmal zu den wenigen Auserwählten gehören, welche der Grüne Strahl mit seinem Erscheinen beehrt hatte.
»Wir werden ihn noch sehen, Miß Campbell, wiederholte Olivier Sinclair, wir werden ihn sehen, und wenn ich ihn selbst anzünden sollte! Es war ja mein Fehler, daß er Ihnen beim ersten Male entging, und ich bin ebenso schuldig, wie jener Herr Ursiclos… Ihr Verwandter… wenn ich nicht irre?
– Nein, mein Bräutigam… wie es scheint..,« antwortete heute Miß Campbell und entfernte sich mit einiger Hast, um sich ihren Onkels anzuschließen, welche unsern von ihr gingen und sich die unvermeidliche Prise anboten.
Ihr Bräutigam! Es war eine eigenthümliche Wirkung, welche diese einfache Antwort, und vorzüglich der Ton, in dem sie gegeben wurde, auf Olivier Sinclair hervorbrachte. Doch, warum hätte jener junge Pedant nicht ein Bräutigam sein können? Unter dieser Voraussetzung erklärte sich wenigstens seine Anwesenheit in Oban. Daß er das Unglück haben mußte, sich zwischen die untergehende Sonne und Miß Campbell zu stellen, daraus folgte doch noch nicht… was folgte daraus noch nicht? Olivier Sinclair wäre sehr in Verlegenheit gekommen, das zu sagen.
Nach zweitägiger Unsichtbarkeit war Aristobulos Ursiclos übrigens wieder auf der Bildfläche erschienen. Olivier Sinclair beobachtete ihn zuweilen in Gesellschaft der Brüder Melvill, die ihm unmöglich mehr zürnen konnten. Er schien mit ihnen auf bestem Fuße zu stehen. Wiederholt waren sich auch, entweder am Strande oder im Salon des Caledonian-Hôtels, der junge Gelehrte und der junge Künstler selbst begegnet. Die beiden Onkels hatten es nun doch für angezeigt gehalten, sie einander vorzustellen.
»Herr Aristobulos Ursiclos aus Dumfries!
– Herr Olivier Sinclair aus Edinburgh!«
Die beiden jungen Leute begnügten sich mit einer sehr mittelmäßigen Begrüßung, einer leichten Neigung des Kopfes, woran der etwas zu steif gehaltene Körper keinen Antheil nahm. Allem Anscheine nach konnte zwischen diesen beiden Charakteren niemals irgend welche Sympathie aufkommen. Der Eine durchmusterte den Himmel, um ihm bildlich seine Sterne zu rauben, der Andere, um deren Elemente zu berechnen; der Eine, der Künstler ließ sich nicht verleiten, auf dem Piedestal der Kunst Stellung zu nehmen; der andere machte aus seiner Wissenschaft ein Piedestal, von welchem herab er Vorstellungen gab.
Was Miß Campbell betrifft, so schmollte sie noch immer mit Aristobulos Ursiclos. Wenn er anwesend war, so schien sie ihn gar nicht zu bemerken, wenn er vorüber kam, wendete sie sich bemerkbar weg. Mit einem Worte, und wie wir bereits oben geschildert haben, sie »coupirte« ihn mit aller Schärfe des britischen Formalismus. Die Brüder Melvill hatten genug Mühe, die Stückchen von ihm zusammenzulesen. Doch wie dem auch war, Alles würde sich ja, ihrer Ansicht nach, zum Besten kehren, wenn dieser launenhafte Strahl sich ein einziges Mal sehen lassen wollte.
Dann und wann betrachtete Aristobulos Ursiclos den hübschen Olivier Sinclair über seine Brille hinweg, wie es Kurzsichtige zu thun pflegen, welche etwas sehen wollen, ohne es sich merken zu lassen. Und was er da bemerkte, die unverdrossene Zuvorkommenheit des jungen Mannes gegenüber Miß Campbell, die Liebenswürdigkeit, mit der das junge Mädchen ihm bei jeder Gelegenheit entgegenkam, Alles das war nicht besonders geeignet, ihm zu gefallen. Doch hielt er sich, seiner Sache gewiß, stets reservirt.
Bei dem immer so ungewissen Himmel und vor einem Barometer, dessen beweglicher Nadel es niemals einfiel, einen festen Stand einzunehmen, fühlten übrigens Alle ihre Geduld auf sehr harte Probe gestellt. In der Hoffnung, einen dunstfreien Horizont zu finden, wäre es auch nur für wenige Augenblicke zur Zeit des Sonnenuntergangs, unternahm man noch zwei bis drei
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