Der grüne Strahl
Ausflüge nach der Insel Seil, an welchen Aristobulos Ursiclos nicht theilnehmen zu sollen glaubte.
Vergebliche Mühe! Der dreiundzwanzigste August kam heran, ohne daß das Phänomen sich herabgelassen hätte, zu erscheinen.
Diese Phantasie nahm allmählich die Gestalt einer fixen Idee an, welche einer anderen gar keinen Raum ließ. Das steigerte sich bis zum Zustand der Besessenheit. Man träumte davon Tag und Nacht, so daß eine neue Art Monomanie zu entstehen drohte – zu einer Zeit, wo man solche überhaupt nur noch schwer zählen kann. Unter dieser Beeinflussung des Geistes verwandelten sich alle Farben in eine einzige, der blaue Himmel erschien grün, die Landstraßen sahen grün aus, der Strand war grün, die Felsen waren grün, Wasser und Wein schimmerten grün wie Absynth! Die Brüder Melvill bildeten sich ein, in grüner Kleidung einherzugehen und hielten sich für ein paar Papageien, welche grünen Tabak aus grüner Dose schnupften. Mit einem Wort, es war eine grüne Tollheit! Alle erschienen von einer Art Daltonismus befallen, und Augenärzte hätten hier Gelegenheit gehabt, ihre ophthalmologischen Revuen mit interessanten Memoiren zu bereichern. Das konnte nicht lange fortdauern.
Glücklicher Weise kam Olivier Sinclair ein rettender Gedanke.
»Miß Campbell, begann er eines Tages, und Sie, meine Herren Melvill, es scheint mir doch, Alles in Allem, daß wir in Oban recht schlecht daran sind, das fragliche Phänomen zu betrachten.
– Und wen trifft dieser Fehler? antwortete Miß Campbell, während sie die beiden Schuldigen, welche beschämt die Köpfe senkten, scharf ansah.
– Hier giebt es keinen Meereshorizont, fuhr der junge Künstler fort. Wir sind deshalb genöthigt, einen solchen allemal auf der Insel Seil zu suchen, und laufen Gefahr, uns gerade in dem geeigneten Augenblick nicht dort zu befinden.
– Das liegt auf der Hand, stimmte Miß Campbell zu. Ich weiß in der That nicht, wie meine Onkels dazu gekommen sind, gerade diesen entsetzlichen Platz für unsere Beobachtungen zu wählen.
Man plauderte von Tausenderlei. (S. 101.)
– Liebe Helena, antwortete hierauf Bruder Sam etwas kleinlaut, ohne recht zu wissen, was er eigentlich sagen sollte, wir haben nun allerdings geglaubt…
– Ja… geglaubt… daß dasselbe… fügte Bruder Sib hinzu, um ihm zu Hilfe zu kommen.
– Daß die Sonne es nicht unter ihrer Würde finden würde, jeden Abend am Horizonte von Oban unterzugehen….
Der »Pionier« glitt nach der Meerenge von Kerrera zu. (S. 108.)
– Weil Oban doch am Meere liegt.
– Ihr habt eben eine sehr falsche Vorstellung gehabt, liebe Onkels, eine ganz falsche, da sie, von hier gesehen, nicht in’s Meer versinkt.
– Leider, stammelte Bruder Sam. Wenn nur diese verwünschten Inseln nicht wären, welche uns die Aussicht auf das offene Meer rauben.
– Ihr verlangt doch nicht etwa, daß sie in die Luft gesprengt werden sollen? fragte Miß Campbell.
– Das wäre ganz sicher schon geschehen, wenns überhaupt möglich wäre, erklärte Bruder Sib in entschlossenem Tone.
– Wir können uns aber nicht auf der Insel Seil niederlassen, bemerkte Bruder Sam.
– Und warum nicht?
– Liebe Helena, wenn Du es unbedingt willst…
– Unbedingt!
– So brechen wir dahin auf!« antworteten Bruder Sib und Bruder Sam resignirten Tones.
Und die beiden opferwilligen Wesen erklärten sich sofort bereit, Oban zu verlassen.
Da nahm Olivier Sinclair noch einmal das Wort.
»Miß Campbell, sagte er, gern bereit Ihren Willen zu erfüllen, glaube ich doch, daß wir noch etwas Besseres thun könnten, als nach der Insel Seil überzusiedeln.
– Reden Sie, Herr Sinclair, und wenn Ihr Vorschlag noch besser ist, werden meine Onkels sich nicht weigern ihn zu befolgen.«
Die Brüder Melvill verneigten sich mit so automatischer Bewegung, daß sie sich vielleicht noch nie so ähnlich gesehen hatten, wie in diesem Augenblicke.
»Die Insel Seil, erklärte Olivier Sinclair, ist wirklich nicht geeignet, auf derselben längere Zeit zu wohnen, wenn das auch für einige Tage angehen möchte. Wenn Sie gezwungen sind, Geduld zu üben, Miß Campbell, so darf das doch nicht auf Kosten Ihres Wohlbefindens geschehen. Ich habe mich auch überzeugt, daß von Seil aus der Blick nach dem Meere durch die Gestaltung der Inseln sehr eingeengt ist. Wenn’s das Unglück wollte, daß wir über Erwarten lange warten müßten, wenn unser Aufenthalt daselbst sich vielleicht gar über einige Wochen
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