Der gute Liebhaber
das Taxi auf Englisch. Das passte zum neuen Reykjavík. Allenthalben wurde geklotzt: überdimensionale Kreuzungen, riesenhafte Neubauten, die ihre Schattenpranken über alte Holzhäuser legten. Wie um das Vorhandene zu verdecken, die Vergangenheit und die Kleinheit. Sogar die Sprache war zu klein geworden.
Der Reisende betrachtete die Rosen, während er auf das Taxi wartete. Eine fiel besonders auf; sie hatte die größte Blüte und den kräftigsten Stiel. Schönheit in Perfektion. Ihr sollte das Privileg zuteilwerden, dass er sie behielt und die anderen wegwarf.
Der Fahrer sagte unnatürlich laut und deutlich JA , als der Passagier die Adresse nannte: Silberstrand drei. Dieses fürchterliche Ja klang in den Ohren eines Mannes, der unabsichtlich den absurdesten Zielort der Welt angegeben hatte, wie eine Verurteilung.
Es wäre ihm niemals auch nur im Traum eingefallen, sich ihr zu nähern. Er hatte noch nicht einmal im Telefonbuch nachgeschlagen und angerufen, um ihre Stimme zu hören und dann aufzulegen. Weshalb hätte er auch irgendwelche Versuche dieser Art unternehmen sollen? Sie war für ewig und alle Zeiten verloren. Das war ihm voll und ganz klar geworden, als sie diese Sätze sagte und die Biskuitrolle anstarrte, die er für sie gebacken hatte. Es war unwiderruflich gewesen, und er hatte sich rasch erhoben, damit sie ihrer Wege gehen konnte.
In dem Moment, als ihre Schritte draußen auf der Straße verklangen, wusste er, dass das Leben von nun an nur noch eine Erinnerung war; er würde zu einem Menschen werden, der von künftigen Zeiten nichts zu erwarten hatte. Der Mann ohne Zukunft, genau das war die richtige Bezeichnung für ihn. Er starrte lange Zeit auf das Stillleben: Küchentisch mit gutem Service und einer halb aufgegessenen Biskuitrolle.
Als der Wagen bei Nummer drei angekommen war, sagte er: Ach, es war doch das nächste Haus, bezahlte und stieg aus. Die einzig wahre Rose nahm er mit und ließ den übrigen Strauß auf dem Rücksitz liegen. Ein perfekter Ort für die Entsorgung, entweder würde der nächste Fahrgast die Blumen an sich nehmen oder der Chauffeur selber. Auf der Halbinsel Seltjarnarnes herrschte komplette Windstille, und der Himmel über dem Silberstrand war wolkenlos. Mond und Sterne bekannten Farbe, sowohl oben bei sich als auch unten auf dem dunklen Meer, und Raureif lag auf dem Bürgersteig, wo er mit einer Rose in der Hand dastand – als wollte er sie jemandem überreichen. Er wartete, bis das Taxi außer Sichtweite war, bevor er ein paar Schritte auf ihr Haus zuging. Ein Haus mit zwei Etagen, so streng funktional, dass er es mönchional genannt und damit bei seiner Liebsten gepunktet hatte. Die Schöpfer des Hauses, ihre Eltern, waren aber nicht ganz mit seinem Charakter im Gleichklang gewesen, und so hatten geblümte Gardinen und mit Schnitzwerk verzierte Kiefernmöbel ihren Einzug gehalten. Diese Entgleisungen waren aber nun aus der Welt geschafft. Gardinen, wie sie der Architekt selber gewählt hätte (vielleicht hatte er das ja getan), ein Sofa und eine Standlampe, die wie einzementiert zu sein schienen. Ein Gemälde, das niet- und nagelfest wirkte. Er tippte auf Svavar Guðnason.
Das letzte Mal (im früheren Leben!) hatte er das Haus in blendender Helligkeit gesehen, die seine Vorzüge entschleierte und zugleich vertiefte. Und nun stellte sich heraus, dass diesem Haus die Dunkelheit sehr gut stand; es war ein Haus der Nacht. Das Dunkel milderte die strenge Einfachheit der Form, und die Gartenlandschaft mit einer angestrahlten Kiefer hier und kleinen Erhöhungen dort bildete einen lebendigen weichen Kontrast zu viereckigen Elementen aus Beton und Glas.
Eine Frau in nachtblauem Schlafanzug erschien am großen Wohnzimmerfenster und zog langsam die Vorhänge zu. Der Schatten der Frau knipste die Lampe aus und verschwand.
Er sah gleich, dass sie sich wenig verändert hatte. Derselbe kräftige, aber zugleich weiche Gang. Die Frisur unverändert; kurz, Pony, Mittelscheitel (Louise-Brooks-Schnitt). Sie hatte nicht zugenommen, oder doch, vielleicht fünf Kilo, und das passte besser zu ihrem Gesicht mit den hohen Wangenknochen und der Adlernase. Vielleicht war sie sogar schöner als die junge Frau. Der Mann auf der Straße war stolz auf die neue Schönheit, so als hätte er selber einem Frauenbild Farben und Strahlen zugefügt, das ohnehin schon strahlend war.
Er wollte warten, bis sie das Licht im Schlafzimmer angemacht hatte. Er wusste, wo es war; er war zwar nur ein
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