Der gute Liebhaber
müssen.
Er legte die Rosen auf das Grab. Die Blüten berührten den Namen auf dem Grabstein, und die Stängel lagen bei einer Pflanze mit knallroter Blüte. Vielleicht würde sich das Leben der Rosen unter der Pflanze verlängern, die ganz den Anschein erweckte, als wäre sie von Robin und Markson auf dem Grab ihrer Pseudomutter eingesetzt worden – die sich nach Kindern sehnte und zwei Erwachsene an sich genommen hatte, besser als gar nichts.
Er erinnerte sich an Doreens Worte: Du erlegst es deinem Kind auf zu sterben. Unweigerlich würde das, was einem alten isländischen Buch zufolge das Schwierigste war, auch seinem kleinen ungeborenen Mädchen bevorstehen.
Ástamama hatte sich dem mit einem Ja gestellt, einem lauten und deutlichen Ja, wie von einer jungen Frau, die schon im Mantel an der Tür steht – vielleicht, um in die Stadt zu gehen, und sich etwas in Erinnerung rief, was sie auf keinen Fall vergessen durfte.
Wer weiß, vielleicht würde er irgendwann in der Zukunft einem Enkelkind vom Ja der Großmutter vor ihrem Tod erzählen. In einer Zukunft, die endlich vollkommen hielt, was sie versprach, nachdem sich ein ganzes Kind in ihr eingenistet hatte. Und zudem noch ein Mädchen, das einen reichen Vater, den Hüter von Schätzen in einem Zauberkoffer mit Ja-Tango und Mathematikbuch, besäße – doch der dritte Zauberartikel, der kleine Pullover, der würde dann schon längst auf freiem Fuß sein.
Selbstverständlich würde er an irgendeinem Geburtstag seiner Tochter den Ja-Tango zur Aufführung bringen, vielleicht an ihrem elften. Die Mutter könnte den Klavierpart übernehmen, es sei denn, dass das Geburtstagskind selber schon imstande dazu war. Aber er musste sich um den Part der Nähmaschine kümmern. Glücklicherweise dasselbe gute Stück, das zur Uraufführung des Werks verwendet worden war. Schwester Fríða konnte den Sopranpart übernehmen, sie hatte eine ähnliche Stimme wie Ástamama, auch wenn das Silber in ihrer Stimme nur ein Abklatsch war.
Und Karl Ástuson war unbedingt davon überzeugt, dass er eine Melodie für sein Kind zustande bringen konnte, genau wie Ástamama es getan hatte, um ihm zu beweisen, dass die Melodien in der Welt nicht ausgegangen waren. Er wusste auch schon, wie es heißen sollte,
Ein Lied für kleine Ohren
, und er lauschte auf eine kleine Melodie, die er oft im Beisein von Una spielen wollte, denn kein Mutterbauch ist so isoliert, als dass ein Kind nicht mitbekommt, was außerhalb von ihm vor sich geht.
Wenn das Kind zur Welt gekommen wäre und in seiner Wiege läge, nach der Trennung bestimmt zunächst ganz hilflos, würde sein Lied ihm eine Bestätigung dafür sein, dass es von Anfang an willkommen gewesen war.
Karl Ástuson warf einen Blick auf die Uhr und sah, dass er nicht länger herumtrödeln durfte. Er richtete sich auf, holte tief Atem und sagte laut: Sie soll Ásta Doreen heißen.
Die Frau am übernächsten Grab sah hoch und nickte ihm zu. Karl Ástuson sagte ja und zählte im Stillen die Namen auf, unter denen seine Tochter auswählen könnte, wenn sie groß wäre: Ásta Doreen Karlsdóttir, Ásta Doreen Ástuson, Ásta Doreen Ash, und bereitete sich darauf vor, es mit einer neuen Art von Glück aufzunehmen.
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Über Steinunn Sigurdardóttir
Steinunn Sigurdardóttir gehört zu den prominentesten Autoren Islands. Sie studierte Psychologie und Philosophie am University College in Dublin und hat viele Jahre für das isländische Radio und Fernsehen gearbeitet. Mit ihrem ersten Gedichtband «Sífellur», den sie im Alter von 19 Jahren veröffentlichte, begeisterte sie ihr Publikum. 1995 erhielt sie den Isländischen Literaturpreis. International wurde sie durch ihre Romane «Der Zeitdieb» und «Herzort» bekannt. Ihr Bestsellererfolg «Der Zeitdieb» wurde mit Emmanuelle Béart und Sandrine Bonnaire in den Hauptrollen in Frankreich verfilmt. Sigurdardóttir hat an unterschiedlichen Orten in Europa, den USA und Japan gelebt. Heute pendelt sie zwischen Reykjavík und Berlin. Weitere Informationen zur Autorin und zu ihren Büchern unter http://steinunn.net.
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Über dieses Buch
Ein Mann kommt nach langer Zeit im tiefsten Winter nach Reykjavík zurück und beobachtet eine Frau durch das Schlafzimmerfenster ihres Hauses: «Dafür war er um die halbe Welt gereist», denn siebzehn Jahre vorher hatte er sie dort zum letzten Mal gesehen. Nachdem sie das Licht gelöscht hat, legt er eine einzelne Rose auf den
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