Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gute Liebhaber

Der gute Liebhaber

Titel: Der gute Liebhaber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steinunn Sigurdardóttir
Vom Netzwerk:
der Ware und dem für sie geforderten Preis.
    Der Barkeeper servierte nach allen Regeln der Kunst und mit ausgesuchter Höflichkeit. Statt den Gast zu fragen, ob er den Whisky mit Wasser oder
on the rocks
trinken wollte, stellte er ihm eine Kanne Wasser, ein Glas und Eis in einer Schale hin. Das Whiskyglas war korrekt, das Wasserglas ebenfalls. Ein Barkeeper mit diesem Schliff hätte sich auch in einer Luxusbar für die Bevorzugten gut ausgenommen – hätte er nicht selber schon ein wenig zu tief ins Glas geschaut.
    Der Reisende zitterte vor Kälte, und nur unter Mühen gelang es ihm, das Glas zum verzerrten Mund zu führen, ohne dass etwas herausschwappte. Der Barkeeper beobachtete ihn und zog aus eigener Sachkenntnis die naheliegenden Schlüsse: ein Alkoholiker, und zwar in einer so üblen Verfassung, dass es ihm trotz des späten Abends noch nicht gelungen war, den Tremor mit Alkohol zu bekämpfen.
    Dieser Reisende war immer sehr wählerisch im Hinblick auf die Platzwahl in Bars oder Restaurants, die er er besuchte. Nun blickte er sich nach dem richtigen Platz um, möglichst weit weg von zwei älteren Männern, die an einem Tisch saßen, eingehüllt in Rauchschwaden aus eigener Produktion und dichtes Schweigen.
    Mit dem Whiskyglas in der einen und dem Wasserglas in der anderen Hand begab er sich gerade quer durch den Raum, als das Lied erklang. Er stellte die Gläser auf einen Tisch und hielt inne.
    Doch nur im Traum gehen wir den Weg zu zweit
    Der Walzer von Lilja Jóns, der seinerzeit, als er klein war, durchschlagenden Erfolg gehabt hatte. Ein Lied, das nur deswegen entstanden war, weil es einen kleinen Jungen gab, der sich Flausen in den Kopf gesetzt hatte.
    Mamas Liebling, der kleine Kalli, hörte bei seinem Freund zu Hause ein seltsames Wort, melodielos. Er verstand das Wort nicht so richtig, aber es kam ihm so schrecklich vor, dass er ganz durcheinander war und allein durch den Park am Stadtteich und wer weiß wohin lief. Zum Schluss steigerte er sich in die Idee hinein, dass die ganze Welt melodielos war. Man hatte sämtliche Melodien aufgebraucht, und es würde nie wieder möglich sein, etwas Neues zu komponieren.
    Einige Tage verstrichen in einer melodielosen Welt, und der kleine Kalli war so verändert, dass seine Mutter fragte: Stimmt was nicht?
    Sie brachte ihn gerade zu Bett, und er versuchte, sich das Oberbett über den Mund zu ziehen, um sich nicht zu verraten. Aber das klappte nicht, er fing an zu weinen und sagte schluchzend: Sind jetzt alle Melodien alle?
    Langsam, langsam, mein Kleiner. Was meinst du denn mit alle?
    Also, dass so fürchterlich viele Lieder gemacht worden sind, dass es in der ganzen Welt keine Melodien mehr gibt.
    An dem Abend wurde erst spät schlafen gegangen. Ástamama erklärte ihm, dass es unendlich viele Möglichkeiten gäbe, um neue Lieder zu komponieren. Dass jeden Tag ganz viele neue entstehen würden, in jedem Land auf der Welt, auch in Island.
    Sogar ich kann ein Lied machen, sagte sie, hör zu.
    Und Kalli hörte zu, und Ástamama sang, ohne groß überlegen zu müssen, das Lied von Kalli Knirps.
    Wie sehr hab ich mir einen Jungen gewünscht,
    und da ist er nun, der Kalli Knirps.
    Und wo sie nun schon einmal angefangen hatte, komponierte sie einfach weiter, zuerst nur für ihren Kalli und ihre Fríða. Und dann wurde sie auf einmal zur Liedermacherin und Sängerin Lilja Jóns, die mit dem Lied, das sie zum eigenen Text sang, durchschlagenden Erfolg hatte:
    Doch nur im Traum gehen wir den Weg zu zweit
    Wie stolz er auf seine Mutter war, als sie zusammen zum GEMA -Haus gingen, um den Scheck abzuholen; und ein Komponist, der durch die Nase sprach und wie ein besessener Wissenschaftler aussah, lobte sie für den wunderbaren Walzer mit dem verträumten Text über den grünen Klee.
    Eine ebenso originelle wie eingängige Melodie, sagte er und fühlte sich in seiner Eitelkeit so geschmeichelt darüber, dass er in der Position war, eine Schneiderin für ihr Musiktalent zu loben, dass er ihr zum Schluss einen Kuss verpasste. Und wunderschön gesungen, mit toller Intonation, fügte er gewichtig durch die Nase hinzu.
    Diese beiden Wörter, GEMA und Intonation, prägten sich ihm tief ein und wurden zu Zauberworten und Orientierungspunkten in seinem Leben. Am liebsten hätte er über seine Arbeit gesagt, dass er sein täglich Brot mit so etwas wie GEMA -Zahlungen bestritt und die Musik das sei, was den Geist bei der Sache hielte, vor allem der Gesang und die perfekte

Weitere Kostenlose Bücher