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Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)

Titel: Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcello Simoni
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habe ich viele Reliquien gefunden«, bestätigte Ignazio. »Aber Ihr könnt mir glauben, an ihnen ist nichts Aufregendes.«
    »Meint Ihr das ernst?«
    Ignazio beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf den Tisch. »Reliquien sind ganz gewöhnliche Dinge ohne jede Fähigkeit, Wunder zu wirken. Knochen, Zähne, Kleiderfetzen … So etwas findet sich auf jedem Friedhof.«
    »Achtet auf Eure Worte!«, rief der Abt erregt und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Reliquien bezeugen die Opfer und die Hingabe der Heiligen. Vor ihnen beten die Gläubigen.«
    Ignazio erkannte die offensichtliche Empörung in Rainerios Miene, meinte darin jedoch auch noch verborgenere, gefährliche Gefühle zu lesen. »Vielleicht habt Ihr recht«, sagte er ruhig. »Doch auf meinen Reisen habe ich beobachtet, dass die Geistlichen den Reliquienkult oft missbrauchen und aus ihm etwas machen, das Götzenverehrung oder Aberglauben gleichkommt.«
    »Unsinn. Das könnt Ihr nicht beweisen.«
    »Im Gegenteil, ich habe es selbst erlebt. In manchen Klöstern wurden die Reliquien ins Gebüsch oder in die Herdasche geworfen, wenn sie die Gebete der Gläubigen nicht ›erhörten‹. Ich habe diesen Brauch mehr als einmal gesehen, und ich versichere Euch, das hatte mehr mit Hexerei zu tun als mit christlichen Gebeten.«
    »Unerhört!«
    »Ich verstehe Eure Entrüstung, aber ich versichere Euch, dass dies geschieht.«
    Rainerio senkte die Lider ein wenig und bekreuzigte sich. »Daran sind nur diese dunklen Zeiten schuld. Diese Zeiten der Barbarei.«
    »Der Mensch ist schuld«, sagte Ignazio. »Er bringt Licht und Schatten. Jederzeit und an jeden Ort.«
    Darauf kehrte kurz Schweigen ein.
    Der Abt berührte mit dem Zeigefinger das Grübchen in seinem Kinn. Er schien es kaum abwarten zu können, auf ein bestimmtes Thema zu kommen. Als er sich nicht mehr zurückhalten konnte, begann er: »Nun gut, Ignazio, wolltet Ihr mir nicht etwas über Euer Geheimnis erzählen?«
    Ignazio hatte diese Frage erwartet. Er hob die Augenbrauen und musterte die erregte Miene seines Gegenübers. »Sprechen wir also darüber«, erwiderte er. »Doch erst sagt mir, was Euch Maynulfo da Silvacandida diesbezüglich enthüllt hat. Ich möchte Euch nicht langweilen, indem ich Euch Dinge erzähle, die Ihr bereits wisst.«
    »Offen gesagt weiß ich sehr wenig.« Rainerio versank tiefer in seinem Sitz, und in seinen Augen lag ein unergründliches Funkeln. »Maynulfo hat mir anvertraut, dass Ihr etwas sehr Kostbares in diesem Kloster versteckt habt … Etwas, das Ihr Euch früher oder später zurückholen würdet.«
    »Das ist vielen hier bekannt. Ihr müsst etwas mehr in die Tiefe gehen.«
    »Maynulfo hatte sich immer wieder vorgenommen, mir alles darüber zu erzählen«, gab der Abt zurück. »Unglücklicherweise hat sein plötzlicher Tod dies verhindert.«
    »Nun gut, eigentlich hat es keine Eile, dass Ihr alles erfahrt«, sagte Ignazio insgeheim erleichtert. Maynulfo hatte seinen Schwur gehalten und sein Geheimnis nicht einmal mit seinem Nachfolger geteilt.
    »Aber ich bin der Abt«, beharrte Rainerio und zeigte auf einmal deutlich, dass ihn die Neugier innerlich zerfraß. »Ich bin für dieses Kloster verantwortlich. Also muss ich wissen, was sich in seinen Mauern verbirgt.«
    »Ich versichere Euch, dass es sich um nichts Wichtiges handelt, verehrter Pater«, sagte Ignazio beschwichtigend, während in seinem Kopf deutlich der drohende und wütende Tonfall des Abts nachhallte. Er machte Anstalten, sich zu erheben, zum Zeichen, dass das Gespräch für ihn beendet war. »Geduldet Euch. In ein paar Tagen breche ich einiger Geschäfte wegen wieder auf. Bei meiner Rückkehr, in höchstens einigen Monaten, werde ich Euch das Geheimnis enthüllen. Das verspreche ich Euch.«
    Der Abt würdigte ihn keiner Antwort, sondern brummte bloß verärgert. Ignazios Angebot war ihm nur ein schwacher Trost.

5
    Es war nun nicht mehr weit zur Abtei von Pomposa. Willalme kniff die Augen zusammen, während er versuchte, etwas jenseits der grün bewachsenen Hügel zu erkennen. Er konnte die Kirchturmspitze der Gebäudeansammlung ausmachen und bewunderte deren schlanke Form, dann wanderte sein Blick weiter nach oben, zu den weißlich schimmernden, über den ganzen Himmel verteilten Zirruswölkchen.
    Der Frieden dieses Ortes nahm ihn gefangen, doch er ermahnte sich, dass er wachsam bleiben musste: Schließlich hatte er für Ignazio einen Auftrag zu erfüllen. Der Händler hatte sein Schreiben keinem Boten

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