Der Mönch in Weimar: Ein Schauerroman nach alter Mode (German Edition)
Prolog
Unter der Stadt
E s rumorte in der Erde unter Weimar.
Die Weimarer Bürger aber gingen dessen ungeachtet ihren Geschäften und Vergnügungen nach. Man besuchte Wirtshäuser und Märkte, alte Freunde und neue Bekannte, erfreute sich am beschaulichen Leben der kleinen Residenzstadt, an der thüringischen Luft und den Th ü ringer Würsten, und sollte dennoch ein feinfühliger Passant die leichten Erschütterungen durch die Sohlen seiner Schnallenschuhe gespürt haben, so erklärte er es sich gewiss damit, dass eine in der Nähe vorbeifahrende Kutsche oder ein Karren den Kitzel verursacht habe, der sich durch das Pflaster über die Schuhsohlen auf seine bestrumpften Zehen übertragen hatte.
Des Nachts mochte ein aus dem Schlummer Gefahrener im ersten Moment mit Schrecken lauschen – war da etwas gewesen? Doch nach einem bangen Moment kratzte er sich schläfrig den Kopf unter der Nachtmütze, murmelte vielleicht etwas von Ratten im Gebälk, nächtlichen Zechbrüdern oder tölpelhaften Nachtwächtern und sank wieder in den Schlaf des Gerechten, und der Mond würde wieder unbehelligt sein silbriges Licht über Weimar werfen.
Doch selbst wenn sich dem einen oder anderen die wahre Herkunft dieses gelegentlichen dumpfen Polterns erschlossen hätte, wenn er vielleicht in einem unbeobachteten Augenblick des Zweifelns das Ohr auf den Grund gepresst hätte – so wäre das Geheimnis doch gewahrt geblieben. Denn je nach Veranlagung des Lauschers hätte sich die eine oder andere Erklärung gefunden: Entweder war dieses Pochen und Stampfen ein unwiderlegbarer Beweis für die Existenz des Leibhaftigen und seiner höllischen Heerscharen, der in der Erde seine teuflischen Ränke gegen die Menschheit schmiedete und davon schwerlich abzubringen sein würde, weswegen sich jegliches – wie auch immer geartetes – Einschreiten verböte. Oder das Klopfen und Rumpeln wäre ein Hinweis auf neuerliche Bestrebungen Carl Augusts, Herzog zu Sachsen-Weimar und Eisenach, der thüringischen Scholle wertvolles Erz zu entreißen. Warum aber ausgerechnet unter der Stadt? Vielleicht, weil die Bemühungen am Johannisschacht in Ilmenau auch nach acht langen Jahren – und siebenjähriger Vorbereitung – immer noch nicht von Erfolg gekrönt waren? Oder war die Gemengelage der Steine und Erden in diesem Landstrich dergestalt, dass die Arbeitsgeräusche der Bergleute am Kammerberg auch über die sechzig Kilometer Entfernung drangen?
Oder konnte es nicht doch sein, dass das unterirdische Völklein, von dem Märchen und Sagen zu berichten wussten, tatsächlich dort unten hauste? Dass Gnome durchs Gestein streiften, dass Heinzelmännlein ihre Gänge anlegten? War dies eine Möglichkeit, eine Verbindung zwischen den beiden anderen Erklärungsversuchen? Nichtmenschliches mit menschlichen Eigenschaften und Arbeitsweisen?
Niemand drang tatsächlich auf den Grund der Töne aus der Tiefe, bis im Sommer 1792 ein junger Herr aus England in der Stadt eintraf. Ein junger Herr, der bereits in einigen Jahren weltberühmt, ja gar berüchtigt sein würde, einstweilen aber noch ein Niemand war.
Erstes Kapitel
In welchem Geister aus Büchern und aus der Vergangenheit auftauchen
M atthew Gregory Lewis sah mit seinen vor Ermattung tiefliegenden Augen durch einen Spalt im Vorhang aus dem Fenster der rüttelnden Kutsche. Er wischte sich mit einem Tüchlein den Schweiß von der schmalen Stirn unter dem dunklen Haar. Die Julisonne des Kontinents kümmerte sich wenig um die klimatischen Bedürfnisse eines Engländers und brannte auf die dunkel gestrichene Kutsche. Vor die Wahl gestellt, das stickige Wageninnere mit der Kühle des Fahrtwindes auf dem Kutschbock einzutauschen, hatte Lewis sich für die ruhigere Kabine entschieden – der vierschrötige Postillion hatte seit dem Aufbruch nach Weimar ohne Pause auf ihn eingeredet, schlimmer noch als die, die ihn von Berlin nach Leipzig gebracht hatten. Es schien, als würden die Menschen in der Provinz immer redseliger. Der Kutscher war der lebende Beweis dafür, und das, obwohl er doch bemerkt haben musste, dass die meisten seiner Zoten und Anekdoten bei dem jungen Engländer auf unverständige Ohren stießen. Im Zweifelsfall hatte er den nicht besonders hoch aufgeschossenen Siebzehnjährigen für wesentlich jünger gehalten – das geschah Lewis ständig, auch wegen seiner knabenhaften Züge – und eine gewisse Schamhaftigkeit vorausgesetzt. Was ihn nicht daran gehindert hatte, noch anzüglicher zu werden. Als
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