Der Händler der verfluchten Bücher (German Edition)
Adlige.
Rainerio da San Donnino hatte sich im hinteren Teil des Raumes hinter einem mit Büchern und Pergamenten bedeckten Tisch verschanzt. Er saß auf einem mit rotem Samt gepolsterten Sessel und war wohl gerade dabei, einem jungen secretarius etwas zu diktieren. Er sah auf und wandte sich sehr herzlich an seinen Gast: »Meister Ignazio, tretet näher. Ich bin gerade fertig geworden.« Dann entließ er beiläufig seinen Sekretär: »Geh jetzt, Ugucio, wir fahren später fort.«
Der junge Mönch nickte nur. Er schloss sein kleines Diptychon mit den zwei miteinander verbundenen Wachstäfelchen, in das er die Notizen aufgenommen hatte, und verließ den Raum.
Der Abt lächelte. »Ignazio, Eure Anwesenheit ist ein unverhofftes Geschenk für mich.« Mit einer höflichen Geste lud er seinen Gast ein, auf einem der Stühle vor seinem Tisch Platz zu nehmen. »Gestern Abend beim Essen wart Ihr sehr schweigsam. Ihr habt mit keinem Wort angedeutet, was der Grund Eures Besuches ist.«
»Gestern war ich erschöpft«, erklärte Ignazio und setzte sich dem Abt gegenüber. »Eine Seereise schwächt Körper und Geist. Doch jetzt, nach einem guten Schlaf, fühle ich mich erholt.«
»Dann sprecht. Erzählt mir von Euren Reisen.«
In Vorfreude auf die Unterhaltung ließ sich Rainerio gegen die Rückenlehne seines Sessels sinken und verschränkte die Finger unter dem Kinn.
»Ich hätte Euch nicht für so neugierig gehalten, was mich anbelangt«, bemerkte Ignazio und verbarg seinen Argwohn.
Der Händler aus Toledo war gern bereit, über sich und von seinen Reisen zu erzählen, doch dafür würde er am Ende auch vom Abt seinen Lohn einfordern: einen Funken Wahrheit. Seit ihrer ersten Begegnung hatte er geahnt, dass Rainerio hinter all seiner Höflichkeit und Fürsorge etwas vor ihm verheimlichte. Das war nur zu offensichtlich. Ignazio hatte schon eine Vorstellung, worum es sich handelte, doch um Gewissheit zu erhalten, musste er den Abt aus der Reserve locken. Und ein Gespräch unter vier Augen bot dazu die beste Möglichkeit.
Er verkniff sich ein wissendes Lächeln und erzählte nun, wie es dazu gekommen war, dass er am vierten Kreuzzug und an der Zerstörung Konstantinopels teilgenommen hatte. Er schilderte den Dogen von Venedig, der wie kein anderer den Geist dieses Kreuzzugs und der folgenden verkörpert hatte, und die Kreuzritter, die ihm gefolgt waren. Aus purer Raffgier hatten diese Männer nicht davor zurückgeschreckt, unter den Christen im Orient ein Blutbad anzurichten. Ein wenig beschämt erinnerte sich Ignazio daran, dass auch er an dieser Unternehmung teilgenommen hatte. Und obwohl er selbst niemanden verwundet oder getötet hatte, hatte er sich doch am Unglück anderer bereichert.
Er ließ Schilderungen von Schlachten und Gewalttaten aus, die er miterlebt hatte, und berichtete stattdessen ausgiebig über den Zauber des Goldenen Horns und der byzantinischen Bauten. Doch das war nicht seine einzige Reise gewesen, sondern nur eine von vielen. Nachdem er von Konstantinopel aufgebrochen war, hatte er sich in die Lagune von Venedig begeben und dabei die Gelegenheit genutzt, seinen alten Freund Maynulfo und die Mönche im Kloster zu besuchen.
»Damals sind wir uns das erste Mal begegnet, erinnert Ihr Euch noch, Rainerio?«
»Wie könnte ich es vergessen?«, erwiderte der Abt. »Das war im März 1210, ich war gerade aus Bologna ins Kloster übergesiedelt. Ihr kamt wegen Eurer Geschäfte hierher: Wenn mich mein Gedächtnis nicht im Stich lässt, habt Ihr Euch mit dem Kapellan von Kaiser Otto dem Vierten getroffen, der damals durch diese Gegend kam, und ihm einige Reliquien verkauft.«
Ignazio nickte zustimmend und erzählte, wie er bald darauf ins Burgund aufgebrochen war und später Toledo erreicht hatte, wo er einst seine Jugend verbracht hatte. Darauf hatte er sich nach Gibraltar eingeschifft und war an den Küsten Afrikas bis nach Alexandria in Ägypten gereist.
Er erwähnte nichts über die Gründe, die ihn zu diesem unsteten Leben gezwungen hatten. Es schien, als hätte er während seines unaufhörlichen Umherziehens nirgendwo Frieden gefunden.
Rainerio hörte ihm aufmerksam zu und ließ sich kein Wort entgehen. »Eure Erzählungen klingen so unglaublich, Ihr solltet sie niederschreiben«, sagte er schließlich. »Doch jetzt stillt meine Neugier: Ihr lebt davon, die Reliquien von Heiligen zu entdecken und zu bergen. Wie vielen Wundern habt ihr bei diesen Gelegenheiten beiwohnen dürfen?«
»Auf meinen Reisen
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