Der Hagestolz
sich vollends aus und legten sich auf ihre Betten. In denselben redeten sie noch fort; aber ehe einige Minuten vergingen, war keiner mehr mächtig weder zu reden noch zu denken; denn sie lagen beide in tiefem Schlafe.
Das Nehmliche mochte auch mit den andern sein, welchen dieselbe Lust mit ihnen heute zu Theile geworden war. - -
Während die Jünglinge diesen Tag so gefeiert hatten, war auf einer anderen Stelle etwas anderes gewesen: Ein Greis hatte den Tag damit zugebracht, daß er im Sonnenscheine auf der Bank vor seinem Hause gesessen war. Weit von dem grünen Baumplaze, wo die Nachtigallen geschlagen und die Jünglinge so fröhlich gelacht hatten, lag hinter den glänzenden blauen Bergen, die die Aussicht des Plazes besäumten, eine Insel mit dem Hause. Der Greis saß an dem Hause und zitterte vor dem Sterben. Man hätte ihn vorher schon viele Jahre können sizen sehen, wenn er überhaupt gerne Augen zugelassen hätte, ihn zu sehen. Weil er kein Weib gehabt hatte, saß an dem Tage keine alte Gefährtin neben ihm auf der Bank, so wie an allen Orten, wo er vor der Erwerbung des Inselhauses gewesen sein mag, nie eine Gattin bei ihm war. Er hatte nie Kinder gehabt und nie eine Qual oder Freude an Kindern erlebt, es trat daher keines in den Schatten, den er von der Bank auf den Sand warf. In dem Hause war es sehr schweigsam, und wenn er zufällig hinein ging, schloß er die Thür selbst, und wenn er herausging, öffnete er sie wieder selbst. Während die Jünglinge auf ihrem Berge emporgestrebt waren, und ein wimmelndes Leben und dichte Freude sie umgab, war er auf seiner Bank gesessen, hatte auf die an Stäbe gebundenen Frühlingsblumen geschaut, und die leere Luft und der vergebliche Sonnenschein hatten um ihn gespielt. Als die Jünglinge nach Vollbringung des Tages auf ihr Lager gesunken und in Schlummer verfallen waren, lag er auch in seinem Bette, das in einer wohlverwahrten Stube stand, und drückte die Augen zu, damit er schlafe. -
Die nehmliche Nacht ging mit dem kühlen Mantel aller ihrer Sterne gleichgültig herauf, ob junge Herzen sich des entschwundenen Tages gefreut und nie an einen Tod gedacht hatten, als wenn es keinen gäbe - oder ob ein altes sich vor gewaltthätiger Verkürzung seines Lebens fürchtete und doch schon wieder dem Ende desselben um einen Tag näher war.
2. Eintracht
Als das erste blasse Licht des andern Tages leuchtete, ging Victor schon in den noch öden Gassen der Stadt dahin, daß seine Tritte hallten. Es war anfänglich noch kein Mensch zu erbliken; dann begegnete ihm manche verdrießliche, verschlafene Gestalt, die zu früher Arbeit mußte; und ein beginnendes fernes Wagenrasseln zeigte, daß man schon anfange, Lebensmittel in die große bedürfende Stadt zu führen. Er strebte dem Stadtthore zu. Außer demselben wurde er von dem kühlen, feuchten Grün der Felder empfangen. Der erste Sonnenrand zeigte sich am Erdsaume, und die Spizen der nassen Gräser hatten rothes und grünes Feuer. Die Lerchen wirbelten freudig in der Luft, während die nahe Stadt, die doch sonst so lärmte, fast noch völlig stumm war.
Als er sich außer den Mauern fühlte, schlug er sogleich einen Weg durch die Felder gegen jenen grünen Baumplaz ein, von welchem wir sagten, daß gestern dort die Nachtigallen geschlagen und die Jünglinge gescherzt hatten. Er erreichte ihn nach einer nicht ganz zweistündigen Wanderung. Von da machte er den nehmlichen Weg, wie gestern mit den Freunden. Er stieg die schiefe Berglehne mit den Gebüschen hinan, er kam an den Rand des Waldes, sah sich da nicht um, drang unter die Bäume ein, eilte fort, und stieg dann über die Wiese mit den Fruchtbäumen in das Thal hinab, von dem wir sagten, daß es so stille ist, und daß in demselben die zwei spiegelnden Bäche rinnen.
Als er in dem Grunde des Thales angekommen war, ging er über den ersten Steg, nur daß er heute, gleichsam wie zu einer Begrüßung, ein wenig auf die glänzenden Kiesel hinab sah, über welche das Wasser dahin rollte. Dann ging er über den zweiten Steg, und ging an dem Wasser dahin. Aber er ging heute nicht bis zu dem Gasthausgarten, in welchem sie gestern gegessen hatten, sondern viel früher bog er an einer Stelle, wo ein großer Fliederbusch stand, der seine Aeste und Wurzeln mit dem Wasser spielen ließ, von dem Wege ab, und ging in den Flieder und das Gebüsche hinein. Dort war eine aschgraue Gartenplanke, die ihre Farbe von den unzähligen Regen und Sonnenstrahlen erhalten hatte, und
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