Der heilige Erwin und die Liebe
freudestrahlend eine goldfarbene Medaille entgegenstreckt, die es an einem Band um seinen Hals trägt. »Und das«, fährt Jesus triumphierend fort und deutet auf eine Gestalt am Bildrand, »bist du!«
Gott hält das Bild näher an die Augen. Tatsächlich, der Junge auf dem Foto ist eindeutig Olli-Lolli. Wie er da so abseits steht, verloren wirkend, und zu dem Mädchen hinüberschielt â das ist genau so wie in dem Moment, als sie ihn zum ersten Mal auf der StraÃe gesehen haben. Gestern war das, erst einen Erdentag her.
Jesus nimmt Gott das Bild aus der Hand und dreht es um. Schulolympiade steht dort in gleichmäÃiger Mädchenschrift geschrieben, und das Datum dahinter verrät, dass das Ereignis ein knappes halbes Jahr zur ückÂliegt.
»Jetzt wissen wir also schon mal, dass die beiden zur selben Schule gehen«, sagt Gott nüchtern und gibt ÂJesus das Foto zurück. »Das kann unsere Treffen vereinfachen. Wir müssen uns nur zwischen den ganzen andeÂren Kindern in der Schule wiederfinden.« Der HoÂsenÂbund drückt unangenehm gegen den vollgegessenen Mag en, und in der zusammengekauerten Sitzhaltung ist das für Gott eine nicht länger zumutbare Körpe rerfahrung. Während Er sich aus dem Sitzsack ho chÂhievt, gewahrt Er einen enttäuschten Zug um Erbses Mundwinkel. »Was ist denn noch?«, fragt Er unwirsch.
Jesus schluckt. »Ich dachte, das ist eine wichtige Entdeckung«, sagt er kleinlaut.
Gott seufzt, dann macht Er einen Schritt auf seinen Sohn zu. »Ist es auch«, sagt Er und legt die Hände versöhnlich auf Erbses Schultern.
In diesem Moment wird schwungvoll die Zimmertür aufgerissen. »Oh, Entschuldigung!«, stammelt Erbses Vater und blickt von einem Kind zum anderen.
Gott zieht Olli-Lollis Hände zurück und steckt sie in die Hosentaschen. »Ich geh dann mal«, sagt Er schnell. »Wir sehen uns morgen!« Mit einem Kopfnicken verabschiedet Er sich von Erbses Vater, der noch immer wie angewurzelt im Türrahmen steht, bevor er einen Schritt zur Seite macht, um den Jungen hindurchzulassen.
Gott hört, wie im Kinderzimmer getuschelt wird. Dann kommt Jesus hinter ihm hergelaufen.
»Ãh, morgen geht leider nicht«, sagt er mit Erbses Stimme. »Papa hat mir grade gesagt, dass wir morgen den ganzen Tag weg sein werden.«
Gott wirft seinem Sohn einen überraschten Blick zu. Der zuckt mit Erbses Schultern und lächelt hilflos. »Na dann eben bis Montag«, sagt Gott, »in der Schule!«
ber Gottes Schreibtisch schwebt der Heilige Geist und gibt sich alle Mühe, seine Ungeduld zu verbergen. »Ich verstehe Ihre Enttäuschung und entschuldige mich in aller Form«, teilt er seinem Gegen über, einem kürzlich verstorbenen Bewohner von Planet 04, mit. »Der Chef ist zurzeit leider unabkömmlich. Aber ich verbürge mich dafür, dass Sie später noch Gelegenheit haben werden, Gott persönlich kennenzulernen!«
Erleichtert stellt er fest, dass ihn seine diplomatische Ader wieder einmal nicht im Stich gelassen hat. Die Notlüge hat den Verstorbenen vor ihm zufriedengestellt, so dass der ihm nun bereitwillig alle für die Erfassung wichtigen Daten preisgibt. Der Heilige Geist notiert diese und beobachtet, wie sich die Gestalt in Luft auflöst. Die Seele zieht als reiner Gotteshauch weiter. Jegliche Erinnerung an ihr bisheriges Leben ist in dem Moment von ihr abgefallen, in dem die zuletzt bewohnte Körperhülle verschwand. Und damit auch die Erinnerung an das Versprechen, das der Heilige Geist ihr gegeben hat.
Seit Gott und Jesus ihre Reise zur Erde angetreten haben, ist der Heilige Geist an diesen Schreibtisch gefesselt. Ausgerechnet er, dessen Arbeit normalerweise darin besteht, von einer Galaxie zur nächsten zu eilen, um das Miteinander der Lebensformen auf den bewohnten Planeten zu regeln. Er muss nun an diesem Ort bleiben und die immer gleichen Fragen stellen. Welchen Planeten haben Sie bewohnt? Unter welchem Namen haben Sie dieses Leben geführt? Wann und wo wurden Sie geboren, wann und wo sind Sie verstorben? Ein paar Höflichkeitsfloskeln, das warâs. »Im Namen der Dreifaltigkeit heiÃe ich Sie herzlich im Himmel willkommen!« Viele der Neuankömmlinge sind enttäuscht, wenn sie nicht Gott persönlich hier antreffen. Wo sie sich doch so sehr auf diese einmalige Gelegenheit gefreut hätten! Andere hingegen,
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