Der Heiratsspezialist
ihm gegenüber las ungerührt seine Zeitung. Sie hieß ›Oberfeidinger Nachrichten‹, sicherlich ein wichtiges Blatt aus einer großen Stadt, obgleich Bob bei seinem Deutschlandkartenstudium auf kein Oberfeiding gestoßen war. Er wunderte sich auch, daß er keine Lederhosen und Pinselhüte sah. Die Deutschen waren gekleidet wie die Leute in Atlanta oder Las Vegas. Sogar etwas korrekter.
Großvater Brook war vor vielen Jahren aus Deutschland nach Amerika ausgewandert. Damals hieß er noch Ferdinand Bach, war 22 Jahre alt und Tischlergeselle. Der Schwarzwald schien ihm zu eng für seinen Tatendrang. Als Schiffszimmermann überwand er den Atlantik, heuerte in Nobile an der Alabama-River-Mündung ab und landete, Gott weiß wie und wodurch, in Atlanta, wo er Bobs Großmutter ehelichte und eine Kartonagenfabrik gründete, die Bobs Vater wiederum mit leichter Hand zur Pleite führte.
Bei den Brooks wurde nur wenig deutsch gesprochen. Großvater Ferdinand war für Bob kaum mehr als ein Familienfoto. Nur dunkel konnte er sich erinnern, daß er auf seinen Knien gesessen und Großvater ihn mit dem Satz geplagt hatte: »Nu sag scho mal Bärbele …« Barbara hieß Bobs Mutter, aber sie war eine echte Amerikanerin gewesen. Niemals hatte er gelernt, ›Bärbele‹ richtig auszusprechen. Immerhin versuchte der Vater Michael – Großvater zuliebe –, die deutsche Sprache in der Familie zu pflegen. Dabei entstanden klangvolle Mischungen zwischen amerikanisch und deutsch, zum Beispiel: »Have you ein Butterbrot?« Später las Bob ab und zu eine deutschsprachige Zeitung, die in New York erschien, aber er hatte wenig Freude daran. Deutsch war ihm zu hart und zu zischend.
Der Mann, der Bob gegenüber saß und ein Bier getrunken hatte, faltete die Zeitung zusammen. Er lächelte seinem Tischnachbarn freundlich zu. Bob grinste zurück.
»Hallo!« sagte er. Hallo ist ein gutes Wort – mit ihm kann man immer anfangen. Vor vielen Jahren hatte ein amerikanischer Senator den zu Besuch in den USA weilenden englischen König mit »Hallo, Mr. King!« angeredet. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Amerika und England wurden deshalb nicht abgebrochen.
Der Mann gegenüber nickte und antwortete: »Hallo!«
»Sie sprechen englisch?« fragte Bob erleichtert.
»Ja.«
»Ich bin eben angekommen. Aus New York.«
»Welch ein Zufall. Ich will nach New York.«
»Sie sind Deutscher?«
»Ja. Warum?«
»Es geht um eine Auskunft, Mister.«
»Höckfeld.«
»Diese schrecklichen Namen.«
»Sagen Sie Bill.« Herr Höckfeld war sehr menschenfreundlich. »Wenn ich Ihnen helfen kann …«
»Bob Brook.«
»Um was geht es, Bob?«
»Wo leben die reichsten Leute in Deutschland?«
Herr Höckfeld sah seinen Tischgast verblüfft an, aber dann lächelte er wieder. »Das ist schwer zu sagen. Überall leben welche. Besonders viel Kapital gibt es in Frankfurt und Hamburg.«
»Wo wohnen die fröhlichsten Deutschen?«
»Köln und Düsseldorf.«
»Wo gibt es die hübschesten Mädchen?«
»Da möchte ich niemanden beleidigen. Deutschland ist voll von hübschen Mädchen.« Herr Höckfeld schaute an die Restaurantdecke. »Aber wenn Sie meine ganz persönliche Meinung wissen wollen: Ich habe die schönsten Frauen in München und – lachen Sie nicht – im Ruhrgebiet getroffen.«
»Warum soll ich lachen?« Bob trank seinen Whisky und wirkte ein wenig unsicher. »Ich bin nach Deutschland gekommen, um mir eine Frau zu suchen«, sagte er. »Wo, meinen Sie, sollte ich anfangen?«
Herr Höckfeld lachte. Ein verrückter Hund, dachte er. Kommt so einfach herüber und fragt einen Wildfremden, wo er seine Frau suchen soll. Die berühmte amerikanische Unbekümmertheit.
»Dazu gehört Glück!« sagte Höckfeld. »Bob, Sie können in Hamburg suchen, und die Idealfrau sitzt in München. Es ist ein Glücksspiel …«
»Davon verstehe ich was, Bill! Ich wohne in Las Vegas.« Bob blickte auf die große Anzeigetafel, die alle Abflüge der nächsten drei Stunden aufzählte. »Sie haben gesagt, in München gibt es viele hübsche Mädchen, okay – ich fliege weiter nach München. In einer halben Stunde! Bill, ich danke Ihnen. Für einen Deutschen sind Sie außergewöhnlich höflich.«
Er klopfte dem verblüfften Höckfeld auf die Schulter, legte für Whisky und Tee großzügig zehn Mark auf den Tisch, nahm seinen Handkoffer und verließ das Restaurant.
Am Abend landete er in München. Er hatte die letzte Maschine nehmen müssen, alle anderen waren ausgebucht, auch etwas,
Weitere Kostenlose Bücher