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Der Henker von Paris

Der Henker von Paris

Titel: Der Henker von Paris Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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Leichen. Sie hatten auch Angst, dass das Grundwasser verseucht und sie von Krankheiten heimgesucht würden. Paris brauchte mehr Friedhöfe. Man liess in der alten Pfarrgemeinde der Madeleine den Gemüsegarten der Benediktinernonnen ausheben, eine Grube von zehn Fuss Tiefe, und ungelöschten Kalkherbeikarren. Hier wurden nun eine Zeitlang die Geköpften in einem Massengrab wie Abfälle aus dem Schlachthaus verscharrt.
    Es flossen Unmengen Blut. Bis zu fünfzig Guillotinierte pro Tag, das waren dreihundert Liter Blut. Wenn das Spektakel vorbei war, stampften die Gaffer über den Platz, und das Blut blieb an ihren Schuhen kleben. So verteilten sie es über die ganze Stadt bis in ihre Wohnstuben. Und wenn die Sonne schien, wurde einem vom Gestank des warmen Blutes übel. Die Weidenkörbe hielten nicht mehr so lange wie früher. Ihre Böden waren vom vielen Blut so aufgeweicht, dass sie nach dem Trocknen brachen. Sieben Köpfe waren zu viel für einen Korb. Charles forderte mehr Mittel für zusätzliche Weidenkörbe und auch einen weiteren Gehilfen, um das Schafott nach sieben Exekutionen zu reinigen. Es sei den zu Exekutierenden nicht zuzumuten, das viele Blut zu sehen. Sie würden dabei schwach und ängstlich, und es sei wesentlich schwieriger, sie auf das Brett zu binden. Aber Fouquier meinte, es sei Teil der Strafe, dass man die Verurteilten auf das blutverschmierte Brett binde und sie in diesen Minuten auf die bluttriefenden Köpfe im Weidenkorb starrten.
    Fouquier liess Charles nicht gehen. Er wollte den grossen Sanson auf dem Schafott sehen. Charles’ Demission hätte der Bevölkerung womöglich signalisiert, dass das Terrorregime an Rückhalt verlor.
    Viele Hinrichtungen erlebte Charles wie in Trance. Er war zu beschäftigt mit den Routineabläufen, um über das nachzudenken, was er gerade tat. Das grosse Leid suchte ihn jeweils spätabends zu Hause auf, wenn er eigentlich zurRuhe kommen wollte. Dann trank er Wein und versuchte schreibend seine Gedanken zu ordnen. Doch die Hand war vom Töten müde geworden. Sie blieb wie ein Stück Fleisch auf seinem Pult liegen, und das frische Blatt seines Tagebuches blieb weiss wie das Laken seines Bettes. Er hätte schreiben wollen, dass ihn nur noch Dan-Mali vor dem Wahnsinn retten könnte. Aber sie begegneten sich nicht mehr. Und die Pater im Jesuitenkloster öffneten ihm nicht einmal mehr die Tür. Sie hatten sich im Kloster verschanzt. Sie hatten Angst.
    Es fiel kaum auf, dass Gorsas nicht mehr für die Zeitung schrieb. Charles dachte, er sei ins Ausland geflohen. Doch er traf ihn wieder, den kleingewachsenen Mann in hellbraunem Frack, teurer Piquéweste und senfgelber Hirschlederhose: auf den Stufen zum Schafott. Obwohl man ihm bereits die Hände gebunden hatte, nuckelte er noch an seiner Pfeife. »Das ist die erste Hinrichtung, über die ich nichts schreiben kann«, sinnierte Gorsas. Irritiert packte Charles seinen rechten Oberarm und führte ihn zum Klappbrett der Guillotine. »Einen Augenblick noch«, sagte Gorsas. Charles erwies ihm diese Gunst. »Kennen Sie mein Verbrechen?«, flüsterte er. Charles schwieg. Er hielt immer noch Gorsas’ Arm fest und versuchte, ihn zu beruhigen. »Unser Doktor Guillotin hat ein schmales Büchlein geschrieben«, fuhr Gorsas fort, »ein Hohelied auf die Pressefreiheit. Die Druckmaschinen wurden gestoppt, das Buch verboten. Darüber habe ich geschrieben. Was hat uns die Revolution gebracht, wenn wir nicht mehr über die Pressefreiheit schreiben dürfen?«
    Charlesnickte. Er mochte die zum Tode Verurteilten nicht daran hindern, noch zu sagen, was ihnen wichtig schien. Denn Charles wusste, dass man in der Stunde des Todes bereut. Man bereut Dinge, die man getan hat, und man bereut Dinge, die man unterlassen hat. Das war ein Vorgeschmack auf die Hölle. In diesem Augenblick jagten sich die Gedanken der Todgeweihten, es war wie das Chaos, das am Anfang aller Dinge stand, bevor die Menschen wurden, was sie wurden. Man war diesen Dingen schutzlos ausgeliefert. Man hatte keine Kontrolle mehr.
    Gorsas umarmte plötzlich seinen Henker und urinierte, ohne es zu merken. »Adieu, Monsieur de Paris. Wir hätten Freunde werden können.« Schweigend nahm auch Charles den kleinen Mann in die Arme. Gorsas streckte sich. Er suchte Charles’ Ohr. »Wenn Sie mir auf dem Friedhof die Kleider ausziehen«, flüsterte er, »schauen Sie in meiner rechten Westentasche nach. Ich habe etwas für Sie.« Gorsas weinte, als man ihn kopfvoran auf das Brett legte

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