Auf & Davon
Kapitel 1
A LLISON M C F ADDEN ging langsam durch die kühle Nachtluft. Sie hatte die Arme um ihren schlanken Körper geschlungen, weil der Wind so sehr an ihrem Mantel zerrte. Ihr Begleiter sah, wie sie zitterte, und legte behutsam den Arm um sie. Freudige Erwartung durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag.
Sie lachte leise, beschwipst von den Martinis, die er ihr den ganzen Abend über spendiert hatte. Sie kamen aus Bemelman‘s Bar im Carlyle Hotel, dem romantischsten Lokal, in dem sie je gewesen war. Der Klavierspieler und die gepflegte, altmodische Atmosphäre hatten sie genauso verführt wie ihr Begleiter selbst.
Er war intelligent und charmant, gutaussehend und so galant, dass es fast schon übertrieben wirkte. Er hatte sie noch nicht einmal geküsst.
Allison lächelte, als sie sich daran erinnerte, wie er mit ihr an den Wandmalereien im Bemelman‘s entlanggegangen war. Er hatte ihr von dem Schriftsteller erzählt, der sie während seines Aufenthalts im Carlyle Hotel gemalt hatte, und dass sie in einigen Kinderbüchern auftauchten. Sie hatte versucht, ihm zuzuhören, sich aber nur auf seine Hand konzentrieren können, die inzwischen etwas weiter unten auf ihrem Rücken ruhte als noch zu Anfang des Abends, und auf seine Lippen, die sich ganz in der Nähe ihrer Wangen bewegten, wenn er sprach. Sie erinnerte sich nur daran, dass die Wandmalereien im Comicstil gehalten waren und Tiere im Central Park darstellten. Es gab dort einen Elefanten, der Schlittschuh lief. Und er hatte ihr einen bewaffneten Hasen gezeigt, der mit einer Automatik hinter seinen Artgenossen herschlich.
Sie hatten beide über den morbiden Humor gelacht. Allison liebte sein Lachen.
Jetzt brachte er sie nach Hause wie ein echter Gentleman. Er hatte den Taxifahrer gebeten, einige Häuserblöcke von ihrer Wohnung entfernt anzuhalten, damit er mit ihr bis zu ihrer Tür gehen konnte. Es war ihr erstes Date, und Allison konnte kaum glauben, dass sie tun würde, was sie geplant hatte
„Willst du… würdest du… Ich meine, möchtest du noch mit raufkommen? Auf einen Kaffee, oder so…?“
Er lächelte, und Allison ertappte sich dabei, dass sie sich in seinen Augen verlor, die durch das Lächeln wärmer wirkten. Er strich ihr mit den Händen durchs Haar, sah die blonden Strähnen im künstlichen Licht der Straßenlampen schimmern.
„Ist deine Mitbewohnerin zu Hause?“, fragte er leise, mit einem intimen Unterton in der Stimme, der durch den kühlen Wind drang und ihr durch und durch ging.
Sie leckte sich die Lippen und nickte. „Aber sie wird uns nicht stören“, versicherte sie schnell; ihre Worte kamen fast atemlos. Sie strich mit der Hand sein Reversglatt und fühlte dabei seine Dienstmarke unter dem Stoff.
„Dann geh voraus“, murmelte er und lächelte.
Es wäre der perfekte Moment für einen Kuss gewesen, dachte sie, als sie seine Hand nahm und ihn ins Gebäude führte. Das wäre fast so romantisch gewesen wie der Abend selbst. Nichts ist wohl vollkommen, dachte sie philosophisch.
Stunden später, als Allison um ihren letzten Atemzug kämpfte, fragte sie sich unwillkürlich, ob er sie nur deshalb nie geküsst hatte, um keine DNS zu hinterlassen.
D ER Anruf hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können. Zwei Tage später war FBI-Agent Ty Grady immer noch stocksauer und verfluchte das schlechte Timing.
Vier Wochen verdeckter Ermittlungen—Rund-um-die-Uhr-Observation, Telefonüberwachung, Wanzen, Bestechung von Informanten, intensive Beschattung—alles beim Teufel, und nur weil so ein Intelligenzbolzen von Grünschnabel vergessen hatte, sein Handy zuhause zu lassen. Bettelnde Penner auf der Straße hatten keine Handys, schon gar nicht welche, die Mozart spielten. Zum Unglück für das Team müder FBI-Agenten, die hinter Antonio de la Vega her waren, war sich ihre Zielperson über diese Tatsache zufällig ebenfalls im Klaren. Schneller als eine Ratte in der Kanalisation war de la Vega denn auch bereits untergetaucht, als Ty und sein Team ihn hochnehmen wollten.
Die Operation war geplatzt, ihre Zielperson war jetzt in einem anderen Land, wo sie keine rechtliche Handhabe hatten, und ihre ganzen Beweise würden nun sang-und klanglos in einem Karton im Keller verschwinden, wo sie verstauben konnten. Es trug nicht gerade zur Verbesserung von Tys Laune bei, dass er selbst den Großteil der Operation geleitet hatte und dass so manches davon nicht gerade nach Vorschrift gelaufen war—schließlich hatten sie auf einen
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