Der Herr der Ringe

ich bin fremd in diesen Gegenden. Ich wusste nur, dass du in einem wilden Gebiet mit dem merkwürdigen Namen Auenland zu finden seiest.‹
    ›Deine Vermutung war richtig‹, sagte ich. ›Aber drücke dich nicht so aus, wenn du einen der Einheimischen triffst. Du bist jetzt nahe den Grenzen des Auenlands. Und was willst du von mir? Es muss dringend sein. Du warst nie ein Wanderer, es sei denn von großer Not getrieben.‹
    ›Ich habe einen dringenden Auftrag‹, sagte er. ›Ich bringe schlechte Nachrichten.‹ Dann schaute er sich um, als ob die Hecken Ohren hätten. ›Nazgûl‹, flüsterte er. ›Die Neun sind wieder unterwegs. Heimlich haben sie den Fluss überschritten und ziehen nach Westen. Sie haben sich als schwarze Reiter verkleidet.‹
    Nun war mir klar, was ich befürchtet hatte, ohne es zu wissen.
    ›Der Feind muss in großer Not sein oder einen wichtigen Plan verfolgen‹, sagte Radagast. ›Doch was ihn veranlasst, sich um diese entlegenen und verlassenen Gegenden zu kümmern, kann ich nicht erraten.‹
    ›Was meinst du damit?‹, fragte ich.
    ›Man hat mir gesagt, dass die Reiter, wo immer sie hinkommen, sich nach einem Land, genannt Auenland, erkundigen.‹
    › Das Auenland‹, sagte ich; aber mein Herz wurde schwer. Denn selbst die Weisen mögen sich davor fürchten, den Neun Widerstand zu leisten, wenn sie sich unter ihrem grausamen Anführer sammeln. Ein großer König und Hexenmeister war er einstmals, und jetzt verbreitet er eine tödliche Furcht. ›Wer hat dir das gesagt und wer hat dich ausgesandt?‹, fragte ich.
    ›Saruman der Weiße‹, antwortete Radagast. ›Und er trug mir auf, dir zu sagen, dass er helfen will, wenn du dessen bedarfst; aber du musst seine Hilfe sofort erbitten, sonst ist es zu spät.‹
    Und diese Botschaft gab mir Hoffnung. Denn Saruman der Weiße ist der Größte meines Ordens. Radagast ist gewiss ein ehrenwerter Zauberer, ein Meister der Gestalten und Farbwandlungen; und er hat große Kenntnisse von Kräutern und Tieren, und Vögel sind seine besonderen Freunde. Aber Saruman hat lange die Künste des Feindes selbst erforscht, und so war es uns oft möglich, ihm zuvorzukommen. Nach Sarumans Plänen haben wir ihn von Dol Guldur vertrieben. Es hätte sein können, dass er irgendwelche Waffen gefunden hatte, die die Neun abzuwehren vermochten.
    ›Ich werde zu Saruman gehen‹, sagte ich.
    ›Dann musst du gleich gehen‹, sagte Radagast. ›Denn ich habe viel Zeit gebraucht, dich zu finden, und die Tage werden knapp. Mir wurde gesagt, ich sollte dich vor Mittsommer finden, und das ist jetzt. Selbst wenn du dich auf der Stelle aufmachst, wirst du ihn kaum erreichen, ehe die Neun das Land entdecken, das sie suchen. Ich selbst werde gleich zurückkehren.‹ Und damit stieg er auf und wollte sofort losreiten.
    ›Warte einen Augenblick‹, sagte ich. ›Wir werden deine Hilfe brauchen und die Hilfe aller Geschöpfe, die sie gewähren wollen. Schicke Botschaften an alle Tiere und Vögel, die deine Freunde sind. Sage ihnen, sie sollen Nachricht geben über alles, was in dieser Angelegenheit für Saruman und Gandalf wichtig ist. Lass Botschaften nach Orthanc schicken.‹
    ›Das will ich tun‹, sagte er und stob von dannen, als ob die Neun hinter ihm her wären.
    Ich konnte ihm nicht gleich folgen. Ich war an diesem Tage schon sehr weit geritten, und ich war ebenso müde wie mein Pferd. Und ich musste die Dinge überdenken. Ich blieb die Nacht in Bree und kam zu dem Schluss, dass mir keine Zeit bliebe, ins Auenland zurückzukehren. Nie habe ich einen größeren Fehler gemacht!
    Allerdings schrieb ich eine Botschaft für Frodo und verließ mich darauf, dass mein Freund, der Gastwirt, sie ihm schicken würde. Bei Morgengrauen ritt ich davon, und schließlich kam ich zu Sarumans Wohnsitz. Er liegt weit im Süden in Isengart, am Ende des Nebelgebirges, nicht weit vonder Pforte von Rohan. Und Boromir wird euch bestätigen, dass das ein großes, offenes Tal ist, das zwischen dem Nebelgebirge und den nördlichsten Ausläufern von Ered Nimrais liegt, des Weißen Gebirges seiner Heimat. Aber Isengart ist ein Kranz steiler Felsen, die das Tal wie eine Mauer umschließen, und in der Mitte dieses Tals steht ein Turm aus Stein, genannt Orthanc. Er ist nicht von Saruman erbaut worden, sondern vor langer Zeit von den Menschen von Númenor; und er ist sehr hoch und hat viele Geheimnisse; doch sieht er nicht aus wie eine Festung. Er kann nur über den Felsenring von Isengart erreicht