Der Herr der Ringe
seinen Augen, besonders Frodo gegenüber; und mehr und mehr fiel er wieder in seine alte Sprechweise zurück. Noch etwas machte Sam zunehmend Sorge. Frodo schien müde zu sein, eine Müdigkeit, die an Erschöpfung grenzte. Er sagte nichts, ja, er sprach überhaupt kaum; und er klagte nicht, aber er ging wie einer, der eine Last trägt, deren Gewicht immer größer wird. Und er schleppte sich dahin, langsamer und immer langsamer, sodass Sam oft Gollum bitten musste, zu warten und ihren Herrn nicht zurückzulassen.
Tatsächlich spürte Frodo bei jedem Schritt, der ihn den Toren von Mordor näher brachte, dass der Ring an der Kette um seinen Hals bedrückender wurde. Er empfand ihn jetzt allmählich als ein wirkliches Gewicht, das ihn nach Osten zog. Aber weit mehr wurde er beunruhigt durch das Auge: So nannte er es bei sich. Es war mehr als das Zerren des Ringes, was bewirkte, dass er sich beim Gehen duckte und bückte. Das Auge: dieses entsetzliche, wachsende Gefühl, dass ein feindlicher Wille mit großer Macht darum rang, alle Schatten der Wolken und der Erde und des Fleisches zu durchdringen, um ihn zu entdecken: um ihn unter seinen tödlichen Blick zu bannen, nackt,bewegungslos. So dünn, so schwach und dünn waren die Schleier geworden, die diesen Blick noch abwehrten. Frodo wusste genau, wo dieser Wille sich gegenwärtig aufhielt und wo sein Mittelpunkt war: ebenso genau, wie ein Mann die Richtung der Sonne mit geschlossenen Augen angeben kann. Er wandte sich ihm zu und spürte seine Kraft auf seiner Stirn.
Gollum empfand wahrscheinlich etwas Ähnliches. Aber was in seinem unglücklichen Herzen vorging zwischen dem Drängen des Auges und der Gier nach dem Ring, der so nahe war, und seinem demütigen Versprechen, das er halb aus Furcht vor kaltem Stahl abgegeben hatte, ahnten die Hobbits nicht. Frodo verschwendete keinen Gedanken daran. Sam war hauptsächlich mit seinem Herrn beschäftigt und bemerkte kaum die dunkle Wolke, die auf sein eigenes Herz gefallen war. Er ließ Frodo jetzt vor sich gehen, hatte ein wachsames Auge auf jede seiner Bewegungen, stützte ihn, wenn er strauchelte, und versuchte, ihm mit unbeholfenen Worten Mut zuzusprechen.
Als es endlich Tag wurde, waren die Hobbits überrascht, wie viel näher sie dem unheilvollen Gebirge schon gekommen waren. Die Luft war jetzt klarer und kälter; und obwohl die Wälle von Mordor noch weitab lagen, waren sie dennoch nicht länger eine wolkige Drohung am Rande der Sicht, sondern blickten wie grimmige schwarze Türme finster über eine trostlose Einöde. Die Sümpfe hörten auf und verloren sich in totem Torfboden und ausgedehnten, mit trockenem, rissigem Schlamm bedeckten Niederungen. Das Land vor ihnen stieg in langen, flachen Hängen, kahl und erbarmungslos, zu der Wüstenei an, die vor Saurons Tor lag.
Solange das graue Licht anhielt, hockten sie wie Würmer zusammengekauert unter einem schwarzen Stein, damit der geflügelte Schrecken mit seinen grausamen Augen sie nicht im Vorbeifliegen erspähte. Den Rest dieser Wanderung gingen sie im Schatten einer wachsenden Furcht, doch nichts in ihren Erinnerungen sagte ihnen, was es war, das sie fürchteten. Zwei weitere Nächte kämpften sie sich durch das beschwerliche, pfadlose Land. Die Luft schien ihnen rauh zu werden und war erfüllt von einem bitteren Gestank, der ihnen den Atem nahm und den Mund ausdörrte.
Am fünften Morgen, seit sie sich mit Gollum auf den Weg gemacht hatten, hielten sie wieder einmal an. Dunkel in der Morgendämmerung reckte sich das große Gebirge empor zu Hauben aus Rauch und Wolken. Am Fuße des Gebirges erstreckten sich gewaltige Vorsprünge und zerklüftete Berge, von denen die nächsten kaum ein Dutzend Meilen entfernt waren. Frodo blickte sich voll Entsetzen um. So grausig die Totensümpfe und die unfruchtbaren Moore des Niemandslandes gewesen waren, weit abscheulicher war das Land, das der herankriechende Tag seinen zurückschreckenden Augen enthüllte. Selbst zu dem Pfuhl der Toten Gesichter würde ein abgehärmtes Trugbild des grünen Frühlings kommen; aber hierher würden Frühling oder Sommer niemals wieder kommen. Hier lebte nichts, nicht einmal die aussätzigen Gewächse, die von Fäulnis zehren. Die schwer atmenden Tümpel waren bedeckt mit Asche und kriechendem Schlamm, widerwärtig weiß und grau, als ob das Gebirge den Schmutz seiner Eingeweide über das Land gespien hätte. Hohe Hügel von zerbröckeltem und zermalmtem Fels, große Kegel aus verbrannter und
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