Der Herr der Tränen: Roman (German Edition)
erstickt hervor. Er lag auf dem Boden. »Zu … welchem … Zweck …«
Forger ignorierte ihn und schlenderte gemächlich durch das Gewimmel von Leibern auf dem Boden.
»Aber wie wäre es«, rief er, »wenn jemand euch den Schmerz nehmen könnte? Wenn ihr ihn nie wieder verspüren müsstet oder irgendetwas in dieser Art?«
Er schlug sich mit beiden Händen auf die Brust und rief alle Fäden zurück. Während sie sich in ihn zurückzogen, brachten sie kleine Bündel mit, herausgerissen aus den Strukturen aller Anwesenden. Er zog sie in sich hinein und verstaute sie, während die Schreie erstarben.
»Ich würde es vorziehen«, sagte er und ging vorsichtig weiter, »wenn jeder, der mit mir kämpft, das tut, weil er loyal ist, weil er den Lohn dafür kennt, dass er an meiner Seite steht. Spart euch den Schmerz für unsere Feinde, Freunde, denn ich habe euch euren genommen!«
Er rief ein Tranchiermesser zu sich und stieß es einer Edelfrau in den Arm. Sie betrachtete es neugierig und zuckte nicht zusammen, als es zitternd in ihrem weichen Fleisch steckte.
»Ihr alle habt an irgendwas gelitten«, fuhr Forger fort. »Du, Herr, an einem offenen Bein, das ständig schmerzte und dir nie Ruhe ließ. Du, Dame, an einer unglücklichen Ehe, die zu beenden dir der Mut fehlte – aus Furcht wovor? Verarmung, Verlust des Ansehens, Schmerz ? Du, kleiner Mann.« Er blieb vor einem Kind stehen. »Du warst zornig. Aus welchem Grund?«
»Eltern«, murmelte der Junge.
»Seine Eltern, tot!«, krähte Forger. »Sie halten ihn nachts wach, er sieht ihre Gesichter ständig vor sich! Aber jetzt, kleiner Mann, wirst du fest schlafen. Und wenn dein niederträchtiger alter Onkel«, er drehte sich zu dem Edelmann um, der neben dem Jungen lag, »dich wieder schlägt, wirst du es spüren, wirst du dich darum scheren ?«
»Ich werde ihn nicht mehr schlagen«, sagte der Mann.
»Wie das?«, fragte Forger. »Warum nicht?«
»Ich … ich weiß es nicht.«
»Vielleicht, weil er dich nicht länger an deine schöne Schwester erinnert, die starb, als sie ihm das Leben schenkte? Mit der du in Wahrheit früher das Bett geteilt hast? Und scherst du dich darum, dass das jetzt alle wissen?« Er ließ den Blick schweifen. »Hält das Gefühl der Schuld wegen dieses schrecklichen Geheimnisses an, die ständige Furcht, dass der abscheuliche Inzest posthum offenbar wird?«
Der Mann bezähmte sich, dann sah er den anderen Adligen in die Augen. »Nein.«
»Nein!«, rief Forger. »Wer schert sich noch um die Frau? Sie ist tot! Das Leben gehört den Lebenden – und ein in Schmerz, in Furcht gelebtes Leben ist überhaupt kein Leben. Würdet ihr mir da nicht recht geben?«
Die Menschen begannen, sich wieder zu erheben.
»So ist es recht!«, sprach Forger weiter. »Steht auf! Setzt dies Festmahl fort! Esst mehr, als ihr braucht, denn kein unruhiger Darm wird euch mitten in der Nacht plagen! Trinkt, so viel ihr wollt, denn kein schwerer Kopf wird euch den Morgen trüben, kein unglückseliges Wort, gesprochen im Nebel, wird euch verfolgen!«
Die Menschen lachten jetzt und stießen einander versuchsweise mit Gabeln an. Forger ließ einen ermutigenden Freudenschrei hören und schaufelte sich eine Handvoll Fleisch in den Mund.
»Kommt, meine Lieben! Lasst uns eine neue Ära für unser geliebtes Tallaho einläuten. Denn ohne Schmerz gibt es keine Furcht. Und ohne Furcht«, seine Stimme wurde stärker, » kann uns niemand aufhalten!«
Am nächsten Tag hatte Forger trotz seiner Worte selbst einen ziemlich schweren Kopf. Er musste eine Menge getrunken haben, sonst wäre er schon vollkommen geheilt gewesen. Er saß auf dem Thron, die Finger an der Stirn, und überlegte, dass es schön wäre, wenn er sich von seinem eigenen Unbehagen befreien könnte. Doch selbst wenn er es gekonnt hätte, wusste er, dass es gefährlich gewesen wäre, es zu tun. Schmerz hatte schließlich seinen Sinn, etwas, das jene, von denen er ihn nahm, allzu schnell vergaßen. Er würde sie jetzt genau im Auge behalten und gut kontrollieren müssen, für den Fall, dass sie zu verwegen wurden oder auf den Gedanken kamen, einander in Stücke zu reißen. Aber sie waren sein, dessen war er sicher.
»Herr?«
Er hatte seinen Ratgeber nicht eintreten hören.
»Guten Morgen, Threver.«
»Das war sehr interessant gestern Abend, Herr.«
»Es hat dir gefallen?« Forger lugte hinter seinen Fingern hervor. »Ich habe kaum etwas von dir nehmen müssen.«
»Reue ist nichts, was mich jemals allzu sehr
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