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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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Greifbares zu erreichen galt und sie wegen dieser Mission zu ihm gekommen war und nicht, um Fragen zu stellen, über die er lieber nicht nachdenken wollte. Nun, überlegte sie, falls er ihr half, die einzelnen Stücke des Puzzles zusammenzusetzen, würde das vielleicht genügen, selbst wenn er das komplette Bild lieber ignorierte.
    »Warum wussten wir nichts über dieses Grabmal?«, murmelte er zum zweiten oder dritten Mal, seit sie angekommen waren. Es war unten auf dem Pfad gewesen, dort, wo er vom Tal des Friedens abzweigte. Sie konnten sich im Fadengang nur an Orte begeben, die sie bereits besucht hatten, und hatten ein Plateau mit Blick auf das Tal und Regrets Turm gewählt. Über dem Turm war die Wunde deutlich zu erkennen, ihre roten, hässlichen Ränder umrahmten den Blick auf die großen Fäden dahinter. Braston hatte sich schnell davon abgewandt, und sie war ihm gefolgt und hatte es seither nicht erwähnt. Weit davon entfernt, geheilt zu sein, sah es aus, als würde die Wunde schlimmer werden.
    »Wie hätten wir davon wissen sollen?«, antwortete sie. »Regret plante, ewig zu leben – warum also sollte er sich überhaupt ein Grabmal bauen?«
    »Ich nehme an, er war einfach gründlich«, erwiderte Braston mit einem Stirnrunzeln.
    »Ich kann mir auch nicht erklären«, sagte Yalenna, »warum Mergan uns nichts davon gesagt oder uns gebeten hat, ihn zu begleiten. Vielleicht wollte er uns vor irgendeinem Risiko beschützen? Und was hoffte er in diesem Grabmal zu finden?«
    »Vielleicht ist es gar nicht wirklich ein Grabmal, sondern ein Lager für Regrets abscheuliche Geräte und Artefakte.«
    »Lass es uns einfach finden«, meinte Yalenna; diese Raterei begann sie zu ärgern.
    Vor ihnen öffnete sich zu einer Seite des Weges ein klaffender Abgrund. Als er die Stelle erreichte, stieß Braston einen unterdrückten Ausruf aus, ließ sich in die Hocke sinken und spähte über den Rand.
    »Vorsicht!«, zischte er. »Zu Boden.«
    Sie gehorchte und robbte neben ihn, um ebenfalls in die Tiefe zu spähen und festzustellen, was ihn derart in Aufruhr versetzt hatte.
    Für einen Moment war sie sich nicht sicher, was sie da sah. Am Fuß der Schlucht, verborgen zwischen Bergen, lag etwas wie ein weißer See. Es war jedoch kein Wasser, sondern ein dichtes Netz aus Seidenfäden, dick gesponnen von Berghang zu Berghang. Die Oberfläche wurde durch das Zittern seltsamer Klumpen in Bewegung gehalten, und hier und da ragte ein langer Knochen oder ein schwach schlagender Flügel aus dem Weiß. Dann brach eine Schnauze daraus hervor und öffnete sich, um Reißzähne zu entblößen. Der Seidenrachen arbeitete, um sich aus dem Netz zu befreien, und benutzte klauenbewehrte Flügelspitzen, um sich an der Oberfläche entlangzuziehen, bis er den Rand erreichte. Dort kletterte er den Felsen hinauf zu einem Vorsprung, wo bereits andere hockten, ihre Flügel erprobten und die Köpfe hin und her schwenkten, um einander mit hohlen Augen anzusehen.
    »Bei der Großen Magie«, murmelte Yalenna. »Dies muss ihr Ursprung sein.«
    »Regrets Zuchtboden«, stimmte Braston angewidert zu.
    »Glaubst du, dies ist sein Werk?«
    »So muss es sein. Kein anderer hatte die Fähigkeit, die natürliche Ordnung auf diese Weise zu verbiegen. Keine Brunft, keine Geburt … nur Dinge , die zusammenkommen.«
    »Lass uns von hier verschwinden.«
    »Wir sollten irgendetwas tun. Dieses Böse darf nicht fortdauern.«
    »Wir haben ein anderes Ziel, Braston.«
    »Vielleicht würde es brennen? Feuer ist die Schwachstelle der Seidenrachen, und hier haben wir den Stoff vor uns, aus dem sie gemacht sind. Wir sollten das Ganze in Brand stecken.«
    Einer der Seidenrachen schien zu ihnen emporzuschauen, obwohl es schwer auszumachen war angesichts seines leeren Blickes. Trotzdem, die Wirkung war beunruhigend, und Yalenna begann von dem Vorsprung zurückzuweichen.
    »Wir haben keine Möglichkeit, ein Feuer zu entfachen«, wandte sie ein. »Wir sind nicht vorbereitet.«
    Dickköpfig beobachtete er weiter, was unten geschah.
    »Braston, sei kein Narr! Wir werden sie noch gegen uns aufbringen, wenn wir hierbleiben.«
    »Sieh nur!« Er hatte bisher am Rand gehockt, jetzt legte er sich flach auf den Boden. Auf der anderen Seite der Felsspalte war ein Ausguck, direkt über dem Tal. Entflochtene erschienen dort, die große Säcke hinter sich herschleiften. Sie kippten ihren Inhalt über den Rand des Abgrunds. Knochen stürzten die Felswand hinab auf die Oberfläche des seidenen Sees, wo

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