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Der Herr der Tränen

Der Herr der Tränen

Titel: Der Herr der Tränen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Bowring
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seltsamer Müll verstreut – ein Bastkorb voller verwesender Brotkrumen, ein Blumenstrauß, der bis auf die Stängel verwelkt war, und ein kleines Messer. Der Fels war an einigen Stellen befleckt.
    »Hallo?«, rief Braston, und Yalenna zuckte zusammen. »Bist du da drin, alter Mann?«
    »Braston!«, ermahnte sie ihn.
    Die Fäden kräuselten sich sanft, während sein Ruf durch sie hindurchlief, doch kein Echo kam aus dem dunklen Inneren zurück.
    »Was?«, fragte er. »Deshalb sind wir doch hier, nicht wahr?«
    »Ja, aber …«
    Vielleicht stand Mergan auf der anderen Seite der Schwelle und rief, ungehört, um Hilfe. Der Gedanke ließ sie schaudern.
    »Wir müssen hinein«, sagte sie.
    Fünftausendvierhundertsiebenundsechzig …
    Das war die Zahl, wenn er die Bruchstücke und die Eckkacheln als Ganze zählte.
    Fünftausendzweihundertzwölf …
    Das war, wenn er nur die unversehrten Kacheln zählte.
    Fünftausenddreihundertsiebzig.
    Das war, wenn er zerbrochene als ganze zählte und Hälften oder Drittel nach Möglichkeit zusammenfügte.
    Sechzehn.
    Das war die Zahl der Vasen, die im Eingangsflur gestanden hatten.
    Zweitausenddreihunderteinundfünfzig.
    In so viele Stücke waren die Vasen jetzt zerbrochen, einschließlich der einzigen ganzen, die verblieben war und die als ein Stück zählte.
    Sechzehn.
    Die Zahl der Ständer für die Vasen. Oder waren es gar keine Vasen, sondern Urnen? Vielleicht wurde ein Gefäß über das definiert, was es enthielt, und da diese nichts enthielten oder nichts enthalten hatten, war es schwer zu sagen, was sie waren oder gewesen waren.
    Urnen oder Vasen, Urnen oder Vasen … Urnen oder Vasen … URNEN ODER VASEN?
    Er geriet in Panik.
    Eins.
    Eine tote Spinne – zumindest war es eine gewesen, vor langer Zeit … Staub jetzt, nicht einmal eine Spur auf dem Boden, wo sie gewesen war, daher zählte sie vielleicht nicht länger. Er trat näher heran, erkundete den Ort … War das immer noch ein winziges Haar dort, das letzte identifizierbare Teil des Tieres?
    Eins.
    Das war die Zahl der Särge – ein eingelassener Steintrog, der niemals Regrets Leichnam gesehen hatte. Sein schwerer Deckel ruhte daneben an der Wand. Es gab kleine Dellen und Unvollkommenheiten im Sargdeckel, aber sie gingen ineinander über und überdeckten einander teilweise, sodass man kaum entscheiden konnte, wo eine endete und die nächste begann. Daher hatte er den Versuch, sie zu zählen, schon lange aufgegeben.
    Er betrachtete die letzte Vase, die aufrecht inmitten der Scherben der anderen stand. Er konnte sie ebenfalls zerbrechen, dachte er. Er konnte die Anzahl der Stücke auf dem Boden verändern, sich etwas Neues zum Zählen geben. Die Versuchung war groß, vor allem, wenn der Zorn kam, doch diese letzte Vase betete er an. Es gab hier unten nicht viel, was er beeinflussen konnte, nicht viel, was er verändern konnte, bis auf diese letzte Vase.
    Sparst du dir sie auf für einen besonderen Anlass?
    Er kicherte, und das Geräusch seiner eigenen Stimme machte ihm Angst.
    Vielleicht würde er, wenn die letzte Vase fiel, wahrhaft fort sein, sein dürftiger Zugriff auf sein Ichgefühl endlich gebrochen. Vielleicht bewies die Tatsache, dass die Vase noch existierte, dass er immer noch ein wenig Kontrolle hatte. Vielleicht war es wichtig zu wissen, dass es immer noch eine Entscheidung gab, die er treffen konnte. Er konnte sie auch weiterhin treffen, konnte weiterhin entscheiden, die Vase in Ruhe zu lassen – während es, wenn er sie zerschmetterte, keine Entscheidung mehr geben würde. Obwohl es manchmal eine weitere zu geben schien – er konnte entscheiden zu versuchen, Regrets Labyrinth zu entkommen.
    Kein besonderes Labyrinth . Nur ein einziger Flur tatsächlich, der im Kreis verlief. Tritt ein, und es schien, als gebe es zwei Gänge, einen auf der linken und einen auf der rechten Seite, aber sie führten im Halbkreis wieder aufeinander zu und trafen sich am Eingang zum Sargraum, der von ihnen eingeschlossen das Zentrum des Grabmals bildete. Manchmal sah er, wie schnell er Runden durch den Flur machen konnte, rund und rund und rund und rund – aber wenn Zeit keine Bedeutung hatte, wie konnte er da seine Geschwindigkeit messen?
    Er konnte noch immer zum Eingang hinausschauen, konnte die Sonne auf- und untergehen sehen. Den Tag erkennen und die Nacht. Wie viele Runden konnte er an einem einzigen Tag drehen? Er ging niemals lange genug weiter, um es herauszufinden – er vergaß immer, was er zu erreichen versuchte,

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