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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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zuversichtlich, diesen rasch zu finden, doch bald bemächtigte sich seiner eine zunehmende Verzweiflung. Wenn er mit seinem Vater auf Besuch zu Meister Davide und dessen Frau Salomia nach Rom gefahren
    war, hatte er sich nie um Abzweige, Plätze und Straßennamen kümmern müssen. Jetzt sah alles gleich aus. Erstaunlich, dass man sich in einem so kleinen Viertel verlaufen konnte. Noch vor knapp fünfzig Jahren hatte es hier Reste des rione gegeben, jenes Ghettos, in dem etliche Tausend Menschen seit Mitte des sechzehnten Jahrhunderts auf weniger als einem Hektar Land von Mauern zusammengepfercht leben mussten. Während er im zunehmend freundlicher werdenden Licht des Morgens durch die Gassen des alten Judenviertels irrte, entsann Nico sich der Geschichten, die ihm sein Vater darüber erzählt hatte. Die meisten davon passten zu seiner düsteren Stimmung.
    Die schmiedeeisernen Laternen an den Hauswänden waren
    bereits erloschen, als er auf seiner Odyssee ungefähr zum vierten Mal eine kleine Trattoria sichtete, die inzwischen geöffnet hatte, um ihren Gästen vor dem Besuch der Synagoge oder dem Kirch-41
    gang den morgendlichen Cappuccino anzudienen. Eine mollige Frau mittleren Alters stellte gerade eine Schale mit Carciofi alla Giudecca ins Schaufenster. Die Artischocken, die wie vergoldete Blüten aussahen, erinnerten Nico daran, dass er seit etwa zwölf Stunden nichts mehr gegessen hatte. Ohne sich dessen bewusst zu sein, blieb er vor der Gaststätte stehen. Die Schaufensterde-korateurin nickte ihm lächelnd zu. Er reagierte nicht, hatte nur Augen für die Antipasti. Mit einem Mal stand die Frau in der Ladentür und hielt ihm einen Streifen Schafskäse entgegen.
    »Wir wär’s mit einem Stück Pecorino, junger Mann?«
    Nico zuckte zusammen.
    »So schreckhaft?« Sie lachte. Ihre Stimme klang auf eine
    freundliche Art rau. »Man könnte ja denken, du hättest was aus-gefressen. Bist wohl nicht von hier.«
    Er nickte.
    »Kannst du auch sprechen?«
    »Ich suche Signor Ticiani, aber ich finde ihn nicht.«
    »Du meinst Davide? Den Goldschmied?«
    Die braunen Riesenaugen des Jungen begannen zu leuchten.
    Er nickte abermals.
    Die Frau trat vor den Laden, wandte sich nach links und
    deutete zu einer Straßeneinmündung. »Siehst du die Gasse da drüben?«
    »Hm, hm.«
    »Da gehst du rein. An der nächsten Ecke biegst du links ab und spazierst immer geradeaus, bis du auf eine kleine Piazza stößt. Da findest du Davides Geschäft.«
    »Danke.«
    »Keine Ursache. Bestell ihm schöne Grüße von Ariana.«
    Wieder nickte der Junge und wollte sich schon auf den Weg machen, als Arianas heisere Stimme ihn zurückhielt.
    »Du hast deinen Käse vergessen.«
    Er schnappte sich das Stück, warf ihr ein Danke zu und rannte davon.
    Schon von weitem erkannte er die bis unters Dach mit Wein 42
    bewachsene Fassade jenes Hauses, in dem sich eine andere Trattoria befand, die Erinnerungen an glücklichere Zeiten in ihm weckte. Dort hatte er zwei-, dreimal mit seinem Vater und Meister Davide zu Abend gegessen. Das Lokal lag direkt gegenüber von Davide Ticianis Werkstatt, an der namenlosen Piazza, deren Form ungefähr so ästhetisch und planvoll war wie die einer Tonscherbe.
    Als sich der Platz in sein Blickfeld schob, merkte Nico sofort, dass etwas nicht stimmte.
    Laden und Werkstatt des Goldschmieds lagen an der Stirnseite eines fünfgeschossigen Hauses, das sich, eingezwängt zwischen zwei Gassen, wie ein Keil in die Piazza schob. Davor standen zwei kastenförmige Polizeifahrzeuge. Zahllose Menschen drängten sich vor dem seitlich gelegenen Eingang, nur mühsam von einer Kette Polizisten am Eindringen gehindert.
    Nico schwante Schlimmes. Sollte er gleich kehrtmachen oder erst jemanden fragen, was das Polizeiaufgebot zu bedeuten hatte?
    Vielleicht fand da ja gerade eine Razzia statt, die ihm galt. Der Gedanke erschien ihm durchaus plausibel. Manzini kannte ge-nügend Leute in hohen Stellungen. Er brauchte nur die richtige Nummer wählen und beiläufig einen Verdacht äußern: Könnte es nicht sein, dass Emanuele dei Rossis Sohn der Mörder ist …?
    »Pass doch auf!« Ein knochiger Kerl hatte Nico fast umge-rannt; er konnte sich wohl nicht schnell genug unter die Gaffer mischen.
    »Entschuldigung. Was ist denn da los?«
    »Soll jemand erschossen worden sein«, rief der Mann über die Schulter hinweg und hastete weiter.
    Ein Schauer rann Nico über den Rücken. Erschossen? Manzini hatte doch nicht etwa …? »Meister Davide!« Seine Stimme

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