Liebeslied für einen Fremden: Das Buch der Liebe (German Edition)
1. Kapitel
S arah war dagegen.
Jessica war dafür und begründete es damit, dass sich irgendwann im Leben jeder Mensch den Tatsachen stellen müsse, erst recht, wenn es um das Älterwerden ginge. An dem Wort „Älterwerden“ erstickte Sarah beinahe, verbot sich aber gleichzeitig jeglichen Protest. Jessica war eben noch sehr jung mit ihren vierundzwanzig Jahren, sie wusste nicht, wovon sie redete, beruhigte Sarah den Aufruhr in ihrem Innern.
Julian war auch dafür. Einerseits.
Andererseits wieder nicht, oder wie sollte Sarah das verstehen, wenn er ihr in einem seiner seltenen Telefongespräche sachlich mitteilte: „Also, Sarah, tu´, was du willst. Nur lass mich deine Entscheidung rechtzeitig wissen. Ich kann hier nicht wochenlang alles auf Stand-by halten, selbst dir zuliebe nicht. Übrigens, falls du es dir noch anders überlegst – hier ist meine neue Mobilfonnummer…“
Das war eine Aussage, die alles offen ließ und Sarah die Entscheidung nicht gerade erleichterte.
Elisabeth, die warm und sicher im weit entfernten Wien saß, war natürlich dafür. Sie war es von Anfang an gewesen und teilte es Sarah ungefähr dreimal wöchentlich in Telefongesprächen mit, deren Dauer zwischen fünfundvierzig bis sechzig Minuten variierte.
Elisabeth beschwor Sarah geradezu, die Organisation des Ganzen ihr zu überlassen: Sie würde das schon machen. Indessen könne Sarah sich entspannt zurücklehnen und alles in Ruhe auf sich zukommen lassen.
Aber weil Sarah sich weigerte, alles auf sich zukommen zu lassen, endeten die Telefonate mit ihrer Mutter meistens mit dem Vorwurf, sie wäre ein grässlich undankbares Kind.
Und Robert?
Robert bewies Sarah, dass er immer noch für eine Überraschung gut war. Auf ihre Ratlosigkeit reagierte er eines Morgens unerwartet tolerant hinter dem Stapel Geschäftspost, die er zumindest ansatzweise überflogen haben musste, ehe er sie zur Erledigung an seine Sekretärin weiter reichte. Dabei ging es inzwischen nicht mehr um seine eigene Firma, denn die Porzellanmanufaktur der Familie Debus war vor zwei Jahren für bankrott erklärt worden und gehörte damit endgültig der Vergangenheit an.
„Meine Allerliebste“, sagte Robert, „es ist völlig egal, wie du dich entscheidest, aber entscheide dich bald. Du musst deinen Geburtstag nicht großartig feiern, wenn du dazu absolut keine Lust hast.“
„Ich hasse es, Vierzig zu werden“, sagte Sarah, woraufhin Robert lachte.
„Das ist ja endlich mal eine klare Ansage. Aber darf ich dich trotzdem an diesem denkwürdigen Tag…“
„Robert Debus, ich warne dich, ich erwürge dich, wenn du dich lustig über mich machst!“ fiel Sarah ihm ins Wort, aber er zeigte sich absolut unbeeindruckt von ihrer Drohung, sondern fuhr fort:
„… an diesem denkwürdigen Tag mit einer kleinen Aufmerksamkeit überraschen? Nein, ich schwöre, ich werde nicht noch einmal verkünden, dass ich mich um Karten für ein Konzert mit David Bowie kümmere, um es dann total zu vergessen.“
Nun lachte auch Sarah, doch irgendwo – wahrscheinlich dort, wo die Mediziner das menschliche Herz vermuteten, sie tippte allerdings eher auf den Magen – fühlte sie einen kleinen Piekser wie von winzigen Glassplittern. Das war die Enttäuschung, die noch nachwirkte, wusste sie.
Im vorigen Jahr hatte sie sich, als Robert sie nach ihren Wünschen fragte, für sie beide Tickets zu einem Bowie-Konzert in Hannover gewünscht. Robert war buchstäblich sofort zur Tür hinaus gestürmt, um sich „darum zu kümmern“, wie er es nannte.
Er organisierte immer noch gerne alles selber, eben so, wie er es aus den Jahren als Chef der Porzellan-Manufaktur gekannt hatte.
Sarah hatte sich nicht weiter um die Angelegenheit gekümmert. Sie verließ sich einfach auf Robert, so, wie sie sich immer auf ihn verlassen hatte, seitdem sie miteinander lebten. Dieses große, beruhigende Vertrauen in ihr war vom ersten Augenblick ihrer Liebe an durch nichts zu erschüttern gewesen, damals genauso wenig wie heute.
Aber Robert hatte die Konzertkarten vergessen, kaum, dass die Haustür hinter ihm zugefallen war, und sobald Sarah sich daran erinnerte, stach es sie immer noch in der Gegend, wo angeblich das Herz saß.
Es ging auch nicht spurlos an ihr vorbei, dass Robert sie heute wieder nicht nach ihrem ganz besonderen und persönlichen Geburtstagswunsch fragte. Schließlich wurde man nicht einfach so Vierzig wie man früher Zwanzig geworden war, fand Sarah vorwurfsvoll. Außerdem hätte sie Robert
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