Der Herr der Unruhe
durch die ernste Miene des Geistlichen.
»Allerdings … gleich jetzt hätte ich noch Zeit.«
Wegen der konfessionell etwas schwierigen Konstellation fand die Trauung im Pfarrhaus statt. Die Hochzeitsgesellschaft bestand aus Mariella, der ungefähr sechzigjährigen Haushälterin des Priesters, und einer Hand voll Freunden, die Laura während ihrer Wochen in Genzano kennen gelernt hatte. Eine Gardine diente der Braut als Schleier. Das Hochzeitsmahl bestand aus dem Inhalt einiger Dosen, auf denen der Aufdruck »U.S. Army« stand. Immerhin gab es jenes frische Brot, für das die Bäcker von Genzano di Roma berühmt geworden sind.
Während der Feier wurde gelacht, auf einer Ziehharmonika
musiziert und getanzt. Trotzdem hatte Nico das Gefühl, irgendetwas gehe hinter seinem Rücken vor. Der Priester tuschelte mit 497
einem Besucher, der sofort wieder das Fest verließ. Später flüsterte ihm Laura etwas zu und deutete dabei auf ihren Bräutigam.
Kurz vor Mitternacht baute sich der kleine Seelenhirte unvermittelt vor Nico auf.
»Für die Hochzeitsnacht ist jetzt alles bereit.«
Nico wurde rot.
Das fand Padre Giacomo auch noch komisch. Sein im Laufe
der Feier wieder etwas größer gewordenes Bäuchlein wippte vor Vergnügen. »Ich habe euch mein Schlafzimmer herrichten lassen.«
Nico brachte mit Mühe seinen Mund wieder zu. »Aber das
kann ich nicht …«
»Keine Widerrede! Ich schlafe auf einer Kirchenbank«, unterbrach ihn der Priester und grinste. »Nein, war nur ein Scherz. Im Haus gibt es genug Betten. Geht einfach die Treppe hoch, dann fallt ihr direkt in euer Liebesnest hinein.«
Während Nico um seine Fassung rang, spürte er, wie jemand seine Hand ergriff. Es war Laura. Sie deutete mit dem Kopf zur Tür und flüsterte: »Komm!«
Hand in Hand stiegen sie zum Obergeschoss empor. Vor dem
Eingang zum Schlafgemach verharrte Nico.
Laura schien seine Schüchternheit zu gefallen. Ihre Mundwinkel zuckten vor kaum verhohlenem Vergnügen. Sie neckte ihn mit einer Stimme wie ein Glockenspiel. »Was ist? Du musst schon aufmachen, wenn wir unsere Hochzeitsnacht nicht hier draußen verbringen wollen.«
Er gehorchte. Langsam ließ er die Tür in den Raum schwingen.
Irgendwo brannte ein Petroleumlicht. Ein aromatischer Duft stieg ihm in die Nase. Vom Luftzug wirbelten im Zimmer Tausende Blütenblätter leise raschelnd umeinander. Nicht nur auf dem Boden, überall lagen sie: auf der Anrichte, dem Stuhl, dem Fens-terbrett und sogar auf dem Bett. Nico konnte sich selbst nicht erklären, wieso ihn dieser überraschende Anblick mit einem solchen Glücksgefühl erfüllte.
»Was ist das?«, keuchte er.
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»Die Blätter des ausgefallenen Corpus Christi. Du erinnerst dich doch noch, wie wir damals die Kunstwerke aus Blumen auf der Straße bewundert haben.«
»Ja, natürlich, aber …« Er schüttelte sprachlos den Kopf.
»Seit Italien in den Krieg eingetreten ist, hat es in Genzano keine Blumenbilder mehr gegeben. Die gesammelten Blüten
schliefen bis heute in den Tuffsteinhöhlen.« Laura deutete ins Zimmer. »Jetzt können wir daraus unsere eigenen Bilder erschaffen.«
Nico nahm sie in den Arm. Er musste vor Glück weinen, weil er den liebsten Menschen, den es für ihn gab, endlich so lange festhalten durfte, wie sein Herz schlagen würde. Behutsam hob er Laura vom Boden auf, und während er sie ins duftende Meer noch ungemalter Bilder trug, zog sie hinter ihnen die Tür ins Schloss.
Vor dem Bett stellte er sie wieder vorsichtig auf die Füße, um sie erneut zu umarmen. Ihre Lippen erforschten jedes Details seines Gesichts, und seine Hände fanden erstaunlich viele Wege, um ihre Wonnen zu steigern. Nie mehr wollte er etwas anderes sein als der Hüter ihrer Freuden, der Herr ihrer liebestrunkenen Unruhe.
Als Lauras Kleid zu Boden glitt, erzeugte es ein neues Blüten-gestöber. Mit ihrer Hilfe wurde auch Nico schnell seine Hüllen los. Durch das Fenster fiel das silberne Licht des Halbmondes.
Staunend sah er sie an und konnte sein Glück nicht lassen. Vor ihm stand eine Eva, wie Gott sie schöner nicht hätte schaffen können. Nico hob sie auf, trug sie um das Bett herum und ließ sie vorsichtig auf die raschelnden Blüten nieder. Dann zog sie ihn zu sich herab.
»Und jetzt«, hauchte ihr heißer Atem in sein Ohr, »lass mich dir das schönste Wunder zeigen.«
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n der Folge liefen zahlreiche Lebensfäden, die mehr oder weni-I ger lang mit demjenigen von Nico dei Rossi verknüpft gewesen waren, wieder
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