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Der Herr der Unruhe

Der Herr der Unruhe

Titel: Der Herr der Unruhe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralf Isau
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davon.
    Nico marschierte durch die Stadt, hinauf zum Kraterrand, der, wie er wusste, einen atemberaubenden Blick auf den »Spiegel der Diana« bot. Die dunklen Fluten des Lago di Nemi wirkten so geheimnisvoll wie ehedem.
    Er lief weiter, folgte genau dem Pfad, den er vor fast auf den Tag genau vier Jahren gegangen war. Sein Ziel: Santa Maria della Cima, die kleinste Kirche auf dem Kraterrand. Endlich erreichte er das Pfarrhaus. Das in den Hof führende Tor stand halb offen.
    Dahinter entdeckte er eine schwarze Limousine. Der kleine Ju-bilierer in seiner linken Brust stimmte einen heftigen Radau an.
    Seine Knie wurden weich. Voll gespannter Erwartung trat er in den Hof.
    In dem teils gepflasterten, teils mit Beeten bepflanzten Geviert herrschte Stille und das in jeder Hinsicht. Nico sah die Hauswand, einen Schuppen, alles verbunden mit einer Mauer aus Lavasteinen, aber kein schönes Mädchen oder einen kahlköpfigen Priester, nicht einmal eine Haushälterin. Er lauschte, bildete sich ein, die Wände würden sich gegenseitig das Echo von Lauras Lachen zuspielen, ganz leise nur. Wahrscheinlich war es eine Sinnestäuschung, weil er sich nichts sehnlicher wünschte, als seine Liebe endlich in die Arme zu schließen und sie nie wieder loszulassen.
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    »Ist da jemand?« Er spitzte die Ohren. Niemand antwortete. Er wiederholte seine Frage, wagte sogar ein Anheben der Lautstärke.
    Unvermittelt nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung
    wahr. Er blickte zum Haus empor. War da nicht eben jemand vom Fenster zurückgetreten?
    »Signor Lo Bello!« Es fiel ihm immer noch schwer, katholische Geistliche mit Vater anzureden.
    Wieder blieb alles still.
    Dann hörte er plötzlich ein leises Klappern. Es kam von
    draußen. Rasch lief er durch das Tor, blickte die Gasse hinunter und sah gerade noch das Hinterrad eines Fahrrades um die Ecke biegen sowie einen wehenden hellen Stoffzipfel, der sich zur genauen Personenbestimmung wenig eignete. War das Laura gewesen? Unwahrscheinlich. Wieso sollte sie vor ihm fliehen?
    Nico lief zu der kleinen Treppe, über die man zum Haupt-
    eingang des Pfarrhauses gelangte. Gerade wollte er den Türgriff berühren, als ihm dieser entzogen wurde.
    Vor ihm stand Giacomo Lo Bello, wie er ihn Erinnerung hatte, nur vielleicht etwas schmaler und ein wenig älter. Der schwarze Talar war makellos sauber, lediglich das Lachen wurde von traurigen Augen getrübt. Beim letzten Mal hatte der Priester in holperigem Deutsch mit einem Wiener Dialekt gesprochen, jetzt richtete er das Wort unverkennbar an einen Italiener.
    »Herzlich willkommen! Ich freue mich, Sie im Stück wiederzusehen, Signor dei Rossi. Wir haben lange auf Sie gewartet.«
    Wir? »Ist Laura bei Ihnen?«
    »Nein.«
    Nico wäre fast zusammengebrochen. »Aber … aber im Hof
    steht doch der Lancia …«
    »O Gott!«, stieß Padre Giacomo hervor, dem Nicos Bestürzung sofort aufgefallen war. »Ich wollte Sie nicht erschrecken. Laura wohnt selbstverständlich bei mir. Sie kam just an dem Morgen nach Genzano, als die Alliierten unten am Meer ihre Landung begannen. Seitdem klagt Mariella – meine Haushälterin – unter Arbeitsmangel, weil das Mädchen meint, ihr Obdach mit Fron-491
    dienst abbezahlen zu müssen. Können Sie sich das vorstellen, Signor dei Rossi?«
    »Da Sie mich mit meinem richtigen Namen ansprechen, nehme ich an, dass Laura Ihnen alles erzählt hat?«
    Der alte Seelenhirte lächelte wissend. »Zumindest genug.«
    »Wo ist sie jetzt?«
    »Vermutlich auf der Via dei Laghi.«
    »Was?«, japste Nico. »Ist das nicht auf dem Weg nach Castel Gandolfo? Warum tut sie so etwas? In der Gegend können immer noch versprengte Einheiten der Deutschen sein und …«
    »Das habe ich ihr auch gesagt«, unterbrach der Priester den aufgeregten jungen Mann. »Aber Sie wissen ja, wie die jungen Leute sind: übermütig und leichtsinnig. Seit sie bei mir ist, liegt sie mir in den Ohren: Wenn Nico mich findet, dann soll er ein Wunder erleben.«
    »Wie bitte?«
    »In der Remise müsste noch ein Fahrrad stehen. Mit dem anderen hat sich Laura davongemacht. Fahren Sie Richtung Albano, aber nicht bis zum zweiten Kratersee. Vorher gibt es einen Abzweig nach Ariccia. Da biegen Sie ab.«
    Nico zauderte nicht lang. Er holte den betagten, schwarz
    lackierten Drahtesel aus dem Schuppen und ritt im gestreckten Galopp aus der Stadt hinaus. Am Straßenrand flogen immer wieder ausgebrannte Fahrzeuge an ihm vorbei, mal deutsche, dann wieder amerikanische. Aus dem Osten, wo

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