Anemonen im Wind - Roman
PROLOG
1936
S ydneys Domain mit ihrem Schmutz und Staub lag fast ein Jahr hinter ihnen, als Ellie und ihr Vater in Richtung Norden nach Gregory Downs ritten. Der Pfad schlängelte sich durch die leere Ebene wie ein blutrotes Band, das im Hitzedunst verschwand, und lockte sie immer weiter ins Unbekannte. Aber da sie nun Geld in den Taschen und Reitpferde hatten, kamen sie endlich leichter voran als in den Monaten, in denen sie zu Fuß auf den Wallaby-Pfaden gewandert waren.
Sie ritten auf der langen Strecke nach Cloncurry, als Ellie bemerkte, dass sich hinter ihnen dicke Wolken am Horizont auftürmten. »Sieht nach einem Unwetter aus«, warnte sie. »Wir sollten uns lieber eingraben, bevor es uns erreicht.«
Ihr Vater John drehte sich um und warf einen Blick auf die Wolken, die an einem seltsam gelben Himmel brodelten. »Sollten’s eigentlich bis Cloncurry schaffen, ehe es losgeht.«
Ellie runzelte die Stirn. »Das schaffen wir nicht«, sagte sie mit Entschiedenheit. »Bis nach Curry sind’s noch mindestens zwei Tagesritte, und so lange wird das Unwetter nicht auf sich warten lassen.«
»Wir müssen’s probieren.« John straffte die Zügel und lächelte sie mit gespielter Munterkeit an. »Wenn es so aussieht, als ob wir es nicht schaffen, müssen wir uns einen Unterschlupf suchen und das Wetter über uns wegziehen lassen.«
Ellie schaute ihrem gut aussehenden Vater ins Gesicht, und dieVerzweiflung über seinen Mangel an Vernunft lastete schwer auf ihr. Es waren nur noch wenige Wochen bis zu ihrem vierzehnten Geburtstag, und dennoch war er anscheinend entschlossen, sie wie ein Kind zu behandeln. Sie hatte von den schrecklichen Unwettern gehört, die es hier mitten in der Wildnis gab, und sie wusste, dass er ebenso viel Angst hatte wie sie. Wenn er es nur zugeben würde!, dachte sie erbost. Wenn er nur ausnahmsweise einmal auf mich hören wollte, dann könnten wir vielleicht lebendig hier rauskommen.
»Wo denn genau?«, fragte sie in scharfem Ton. »Hier draußen gibt es keinen Berg, kein Tal und keinen Felsen, und vielleicht haben wir nicht mal mehr genug Zeit, um uns hier einzugraben.« Ihr Blick wanderte über die trostlose Umgebung. Der steinige Pfad war unter der wirbelnden Staubschicht hart wie Beton, und die wenigen versengten Bäume, die schwarz in der Hitze standen, boten nur wenig Schutz. Die Berge lagen wie Murmeln als Schemen in weiter Ferne.
»Wir finden schon was«, sagte er in seiner typischen Sturheit.
Ellies braune Augen unter den zerzausten Fransen ihres flachsfarbenen Haars musterten ihn ernst. »Wir sollten sofort anfangen zu graben, wenn wir noch eine Chance haben wollen. Staubstürme sind mörderisch, und wir sollten sie ernst nehmen.«
Kalte Entschlossenheit stand in Johns Augen. »Du hast auf dem Viehtreck nach Longreach zu viele Horrorgeschichten aus dem Outback gehört«, fuhr er sie an. »Du bist vielleicht dreizehn und gehst so allmählich auf die fünfundvierzig zu, aber du weißt noch längst nicht alles.«
Ellie rutschte im Sattel hin und her und schaute sich zum düsteren Horizont um. Der Wind wechselte die Richtung, aber deshalb wurde ihr nicht wohler. Der schwarze Treiber, Snowy White, hatte sie vor den tückischen Naturgewalten gewarnt. Der Aborigine hatte nur allzu eindringlich beschrieben, wie sie ahnungslose Reisende in falscher Sicherheit wiegten, bevor sie ihre schrecklichen Kräfte entfesselten.
John Freeman zog sich den Hut tiefer über die dunklen Augen. »Wir reiten weiter«, sagte er mit einer Entschlossenheit, die keinen Widerspruch duldete. »Der Sturm ist meilenweit weg, und wie es aussieht, ändert er die Richtung.« Er lenkte den Grauschimmel auf den breiten Steinpfad, der am nördlichen Horizont verschwand, und stieß dem Pferd die Fersen in die Flanken. »Also los!«
»Gefällt mir nicht, wie das aussieht«, sagte Ellie halsstarrig und trieb Clipper zum Trab. »Wang Lee hat mir von einem Kumpel erzählt, der in so was reingeraten ist. Starb so schnell, dass ihm keiner mehr helfen konnte. Lunge voller Staub. Wang Lee sagt, der Tod kann hier draußen in Sekundenschnelle kommen.« Sie schnippte mit den Fingern. »Einfach so.«
»Hör endlich auf mit deinem Chinesen, und reite!« John klatschte mit dem Zügel und trieb sein Pferd zu einem schwerfälligen Trab, und Ellie folgte ihm widerstrebend mit einem letzten Blick zum Horizont in ihrem Rücken.
»Es wird Zeit, dass du aufhörst, auf chinesische Köche und schwarze Viehtreiber zu hören, und zur
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