Der Herr von Moor House
Glas nach. “Reden wir morgen darüber. Geh jetzt ins Bett, Giles. Du siehst müde aus.”
“Bleibst du noch hier?”
“Ja, ich will warten, bis die Dienstboten ihre Arbeit erledigt haben.”
Nachdem Giles die Bibliothek verlassen hatte, setzte sich Christian wieder und schob das Messer in die Tasche seines Schlafrocks. Dann betrachtete er das Gemälde, das über dem Kaminsims hing. Weder Trauer noch Liebe zeigten sich in seiner Miene, während er das Porträt seiner verstorbenen Frau musterte. Wenn seine dunklen Augen irgendein Gefühl verrieten, dann erstaunlicherweise kühle Abneigung.
Als Giles am nächsten Morgen den Frühstücksraum betrat, sah er Christian bereits am Tisch sitzen. “Was, du bist schon auf?”, rief er überrascht. “Warst du überhaupt im Bett?”
“Oh ja.” Christian wartete, bis der Lakai seinem Bruder das Frühstück serviert hatte, und schickte ihn mit einer knappen Geste hinaus. “Was wir letzte Nacht besprochen haben, bitte ich dich, für dich zu behalten, Giles. Wir wollen die Damen nicht erschrecken.”
“Natürlich nicht. Megan weiß allerdings, dass ich das Messer in ihrem Zimmer gefunden habe. Aber ich gab vor, es wäre aus meiner Tasche gefallen.” Anerkennend nickte Christian ihm zu, und Giles freute sich über das stumme Lob. “Bist du inzwischen zu irgendwelchen Erkenntnissen gelangt?”
“Leider nicht. Ich erinnere mich nur an einen Unbekannten, den Farley gestern erwähnte. Offenbar wurde der Mann in unserem Wald gesehen. Ich nahm an, es wäre ein harmloser Wilddieb. Aber angesichts der Ereignisse in der letzten Nacht werde ich das ganze Gebiet absuchen lassen.”
“Glaubst du, der Schurke wird noch einmal versuchen, in Moor House einzubrechen?”
“Das hängt davon ab, wie viel ihm daran liegt, sein Ziel zu erreichen. Jedenfalls müssen wir damit rechnen.” Ehe Giles weitere Fragen stellen konnte, legte Christian warnend einen Finger an die Lippen. Soeben hatte er weibliche Stimmen in der Halle gehört, und wenig später betrat Megan das Zimmer, bemerkenswert gelassen, von ihrer aufgeregten Nichte begleitet.
“Oh Gott, wie schrecklich!”, rief Sophie und setzte sich neben ihren Vormund. “Heute Morgen hat Rose mir alles erzählt, als sie mir eine Tasse Schokolade brachte.”
Lächelnd wandte sich Christian zu ihr. Zunächst war ihm die aufgezwungene Vormundschaft eine ziemliche Last gewesen. Aber seit er Sophie in Taunton wiedergesehen hatte, zu einer wohlerzogenen jungen Dame herangewachsen, erschien ihm seine Verantwortung viel erfreulicher.
“Wie konntest du bei all dem Lärm schlafen, Sophie?”, fragte Giles ungläubig. “Wasserkrüge flogen durch die Luft und zerbrachen, deine Tante stieß einen gellenden Schrei aus, der sogar Tote geweckt haben müsste …”
“Warum sind Krüge herumgeflogen?”, fragte Sophie fasziniert.
“Wie immer hat mein Bruder maßlos übertrieben”, erklärte Christian. “Nur ein einziger Krug ist zerbrochen …”
“… den deine geistesgegenwärtige Tante dem Eindringling an den Kopf warf”, ergänzte Giles.
“Ja, sie weiß immer, was zu tun ist”, meinte Sophie, und ihre Tante protestierte verlegen.
“Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Megan”, mahnte Giles und genoss ihr Unbehagen. “Ich erinnere mich an einen Zwischenfall vor etwa acht Jahren. Schon damals hast du eine bemerkenswerte Geistesgegenwart bewiesen. Ich saß auf dem Ast eines hohen Baums, um die Krähen zu erschrecken. Leider konnte ich sie durch das dichte Laub nicht richtig sehen. Aber plötzlich entdeckte ich eine besonders große. Sorgfältig zielte ich mit meiner Schleuder auf den Vogel. Die hatte ich zufällig bei mir, nebst reichlicher Munition. Was ich für eine Krähe hielt, war bedauerlicherweise ein schwarzer Hut.” Spitzbübisch zwinkerte er Sophie zu. “Und er gehörte ausgerechnet dem Squire Treherne, einem alten Brummbär, der noch nie einen Funken Humor besaß. Als der Hut von seinem Kopf flog, dachte ich, der Schlag würde ihn treffen. Zum Glück ritt deine Tante mit meiner Schwester vorbei und rief: ‘Was für ein Pech, Giles! Du hast die Ratte nur knapp verfehlt. Haben Sie dieses grässliche Biest gesehen, Squire? Gerade rannte es vor Ihre Füße.’” Giles brach in Gelächter aus. “Du warst so überzeugend, Megan!”
Erfolglos versuchte sie, ein Lächeln zu unterdrücken. “Hätte ich dich bloß deinem wohlverdienten Schicksal überlassen, unartiger Junge, der du warst!”
“In der Tat, das
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