Der Herr von Moor House
Doch das glänzende Metall, dicht vor seinem Gesicht, belehrte ihn eines Besseren. Langsam hob er den Kopf. “Sie …”, murmelte er und traute seinen Augen nicht.
“Überrascht Sie mein Besuch, Kent?”, fragte Christian spöttisch. “Oder soll ich Sie Mr Berringham nennen?”
Verwundert wechselte Crabtree einen Blick mit seinem Partner, bevor er alle Kerzen im Zimmer anzündete. Der wirkliche Name des Künstlers verblüffte ihn ebenso wie die Waffe, die Mr Blackmore gezückt hatte. Wie immer der Kerl hieß, er verdiente seine Strafe. Aber der Polizist wollte nicht mit ansehen, wie ein menschliches Wesen kaltblütig erschossen wurde.
“Ich habe offenbar einen tüchtigen Schutzengel, Berringham”, fuhr Christian fort. Lächelnd begegnete er dem abgrundtiefen Hass in den grauen Augen. “Sogar Ihren dritten Anschlag auf mein Leben habe ich unbeschadet überstanden.”
“Keine Ahnung, wovon Sie reden!”, stieß der Maler zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. “Soll das ein Witz sein?”
“Der einzige Witz sind Sie selber. Noch dazu ein armseliger.” Christian fasste wieder in seine Tasche. Diesmal zog er ein Messer hervor, das er zielsicher auf den Nachttisch warf. “Hiermit gebe ich Ihnen Ihr Eigentum zurück. Ein ungewöhnlicher, hübscher Elfenbeingriff … Stammt das kleine Kunstwerk vielleicht aus Italien?”
“Dieses Messer habe ich noch nie gesehen.” Verstohlen schaute Berringham zu den beiden Polizisten hinüber, die das Geschehen mit sichtlichem Interesse verfolgten. “Verdammt, Sie können nicht beweisen, dass es mir gehört!”
“Stimmt”, gab Christian ungerührt zu. “Genauso wenig kann ich Ihnen nachweisen, dass Sie in mein Haus eingedrungen sind oder die Person waren, die vom Waldrand aus auf mich schoss und gestern Nachmittag meinen Brandy vergiftete. Aber Sie sind imstande, das alles zu beweisen.”
“Was soll der Unsinn?”, fragte Berringham herausfordernd. “Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen.” Doch er unterschätzte seinen Gegner, wenn er glaubte, er würde ihn mit seiner Unschuldsmiene beeindrucken.
“Eine bemerkenswerte Komödie, die Sie da zum Besten geben … Das liegt Ihnen wohl im Blut. Ihre Mutter war Schauspielerin, nicht wahr? Und wenn ich mich nicht irre, stand auch Ihr Vater auf der Bühne.” Zu Christians Genugtuung umklammerte Berringham mit bebenden Fingern die Bettdecke und schaute wieder zu den Polizisten hinüber. “Wie Sie inzwischen wahrscheinlich erraten haben, vertreten die beiden Gentlemen das Gesetz. Einer hat Sie gestern beobachtet, der andere war in meinem Haus postiert. Haben Sie während Ihres kurzen Aufenthalts in Moor House miterlebt, wie einem jungen Lakaien übel wurde, Crabtree?”
“Oh ja, Sir”, log der Beamte geistesgegenwärtig und zeigte ein ebenso bewundernswertes schauspielerisches Talent wie Berringham.
“Würden Sie bitte die Flasche aus dem Schankraum holen, in die ich den Inhalt meiner Brandykaraffe geschüttet habe? Bringen Sie auch ein Glas mit.”
Bereitwillig nickte Crabtree und verließ das Zimmer.
“Was hoffen Sie mit dieser Farce zu erreichen?”, fauchte Berringham. “Ich hasse Brandy, und Sie können mich nicht zwingen, das Zeug zu trinken.”
“Zweifellos wird es meinen wackeren Gefährten leichtfallen, Sie festzuhalten, während ich das edle Nass in Ihre Kehle gieße”, konterte Christian mit einem morbiden Triumphgefühl, das ihn selbst überraschte.
In der Hoffnung, der kleine Trick würde zum Erfolg führen, stellte Crabtree die Flasche, aus der sie vorher zu dritt getrunken hatten, und ein Glas auf den Tisch.
“In den Hexenprozessen galt die Unschuld der Angeklagten als erwiesen, wenn sie sich bei der sogenannten Wasserprobe im Dorfteich nicht durch Zauberkräfte retten konnten, sondern ertranken”, fügte Christian unbarmherzig hinzu. “Und falls sie diese Tortur überlebten, wurden sie gehängt. Dagegen haben Sie viel bessere Chancen, Kent, wenn auch dahingestellt sein mag, ob Sie es verdienen.” Christian füllte das Glas und hielt es hoch. “Trinken Sie das, und beweisen Sie Ihre Unschuld! Mit Ihrer Weigerung würden Sie zugeben, dass Sie den Brandy in meiner Bibliothek vergiftet haben.”
Berringham starrte das Glas an. Nach einer Weile griff er danach, und Christian fürchtete, seine List hätte die Wirkung verfehlt. Doch dann schleuderte der Maler das Glas zu Boden, sprang aus dem Bett und stürmte zur Tür. Dieser Fluchtversuch eines Verzweifelten konnte nicht
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