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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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übrig bleibt, und dann auch noch das, was hinter all dem verborgen ist. Kein Analytiker hat je so etwas gemacht. Ich will herausfinden, wie weit man überhaupt gehen kann. Ich will Begierden und Wünsche haben, und die werde ich mir von anderen holen. Dass ich bis heute nichts davon für mich behalten konnte, liegt vermutlich daran, dass ich nicht weit genug gegangen bin. Ich möchte eine Art Identifikation zustande bringen. Zu wissen, dass es Leidenschaften gibt, und sie nicht zu empfinden, das ist schrecklich.«
    »Eines ist aber doch sicher«, sagte Angel, »Sie haben mindestens diesen einen Wunsch, und der bewirkt doch schon ausreichend, dass Sie nicht so leer sind.«
    »Ich habe keinen Grund, weshalb ich eine Sache anstelle einer andren machen sollte«, sagte Jacquemort. »Und ich möchte den anderen die Motivationen wegnehmen, die sie dafür haben.«
    Sie näherten sich der hinteren Gartenmauer. Symmetrisch zum Haus und zum Tor, durch welches Jacquemort am Vortag in den Garten vorgedrungen war, erhob sich, die Eintönigkeit des Mauerwerks durchbrechend, ein hohes vergoldetes Gitter.
    »Mein lieber Freund«, sagte Angel, »erlauben Sie mir, Ihnen noch einmal zu sagen, dass das Verlangen danach, ein Verlangen zu haben, schon eine ausreichende Leidenschaft darstellt. Nehmen Sie diesen Ihren Antrieb zum Handeln als einen Beweis dafür.«
    Der Psychiater streichelte seinen roten Bart und fing an zu lachen.
    »Das ist gleichzeitig aber auch ein Beweis für das Fehlen von Wünschen«, sagte er.
    »Aber nein«, entgegnete Angel. »Um weder Wünsche noch Wunschvorstellungen zu haben, müssten Sie einen gänzlich neutralen Sozialisierungsprozess durchgemacht haben. Müssten also jeglichem Einfluß unbeschädigt standgehalten haben, sozusagen ohne innere Vergangenheit sein.«
    »Das trifft auch zu«, sagte Jacquemort. »Ich bin letztes Jahr geboren, als derselbe, den Sie jetzt vor sich haben. Schauen Sie sich meinen Personalausweis an.«
    Er hielt ihn Angel hin, der ihn nahm und aufmerksam untersuchte.
    »Stimmt«, sagte Angel, während er ihn zurückgab. »Ein Eintragungsfehler.«
    »Passen Sie auf, was Sie da sagen! ...« protestierte Jacquemort empört.
    »Das passt doch alles recht gut zusammen«, sagte Angel. »Es stimmt, dass es geschrieben steht, aber was da geschrieben steht, ist ein Fehler.«
    »Ich hatte aber doch eine Mitteilung ›Psychiater. Leer. Bitte füllen.‹ Eine Mitteilung. Da gibt es gar nichts zu diskutieren. Hier steht es schwarz auf weiß.«
    »Na und?«, sagte Angel.
    »Gar nichts, Sie sehen doch, dass er nicht von mir kommt, dieser Wunsch, mich zu füllen«, sagte Jacquemort. »Dass alles von vornherein eine abgekartete Sache war. Dass ich ja gar nicht frei war.«
    »Aber gewiss doch«, antwortete Angel. »Da Sie ja einen Wunsch haben, sind Sie auch frei.«
    »Und wenn ich überhaupt gar keinen hätte? Nicht einmal diesen da?«
    »Dann wären Sie ein Toter.«
    »Ach, verdammter Mist!«, schrie Jacquemort. »Mit Ihnen diskutiere ich nie mehr. Sie machen mir richtiggehend Angst.«
    Sie hatten das Gitter durchschritten und trotteten nun den Weg zum Dorf hinunter. Die Sonne war weiß und staubig. Zu beiden Wegseiten wuchsen zylindrische, dunkelgrüne, schwammige Stengelpflanzen, wie Bleistifte aus Gelatine.
    »Letzten Endes«, sagte Jacquemort trotzig, »ist es doch das Gegenteil. Man ist nicht frei, wenn man keinen Wunsch nach irgendetwas hat, und ein gänzlich freies Wesen hätte nicht den Wunsch nach nichts. Gerade der Umstand, dass ich nicht den Wunsch nach nichts habe, lässt mich schließen, dass ich frei bin.«
    »Aber nein«, gab Angel zurück. »Da Sie ja den Wunsch danach haben, überhaupt Wünsche zu haben, haben Sie ja schon einen Wunsch nach irgendetwas, und das alles ist falsch.«
    »Oh! Oh! Oh!« rief Jacquemort immer aufgebrachter. »Etwas wollen, heißt, an sein Verlangen angekettet zu sein.«
    »Ach nein«, sagte Angel, »die Freiheit ist der Wunsch, der von und aus Ihnen kommt. Im Übrigen ...«
    Er hielt inne.
    »Im übrigen«, sprach Jacquemort, »machen Sie sich über mich lustig, und damit hat sich’s. Ich werde irgendwelche Leute psychoanalysieren, und ich werde denen wirkliche Wünsche, Begierden und Entscheidungen und alles andere wegnehmen, und Sie bringen mich hier nur ins Schwitzen.«
    »Passen Sie auf«, sagte Angel und überlegte, »machen wir doch ein Experiment: Versuchen Sie doch einen Augenblick lang, in aller Aufrichtigkeit, vom Wunsch nach den Wünschen anderer

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