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Der Herzausreißer

Der Herzausreißer

Titel: Der Herzausreißer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Vian
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»Verschwindet!«, rief sie, »alle beide! Du, weil du mir das angetan hast, und Sie, weil Sie mich so gesehen haben. Los...! Haut ab!«
    Jacquemort ging zur Tür, gefolgt von Angel. Sowie dieser seinen Fuß in den Hausflur setzte, traf ihn das zu einer Kugel zusammengerollte Leintuch in den Nacken, das ihm seine Frau soeben nachgeworfen hatte. Er strauchelte und schlug mit seiner Stirn gegen den Türrahmen. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.

7
    Sie stiegen jetzt über die mit roten Steinplatten bedeckte Treppe hinunter, die unter ihren Füßen erzitterte. Das Haus war aus mächtigem schwarzen Balkenwerk und weißgekalkten Wänden gefügt. Jacquemort suchte nach passenden Worten.
    »Das wird sich bald wieder einrenken ...«, meinte er.
    »Hmm ...«, antwortete Angel.
    »Sie sind ja wirklich allerhand Kummer gewöhnt ...?« vermutete der Psychiater.
    »Nein«, sagte Angel. »Ich war zwei Monate eingesperrt. Das ist alles.«
    Er zwang sich zum Lachen.
    »Es kommt mir komisch vor, wieder frei zu sein.«
    »Was haben Sie während dieser zwei Monate gemacht?«, fragte Jacquemort.
    »Nichts«, sagte Angel.
    Sie durchquerten eine große Halle, die wie das Stiegenhaus mit roten Sandsteinplatten ausgelegt war. Es standen kaum Möbel da; ein massiver Tisch aus hellem Holz, ein niedriges Buffet aus dem gleichen Holz und an den Wänden zwei oder drei sehr schöne Gemälde in Weiß. Dazu passende Sitzgelegenheiten. Angel blieb neben dem Buffet stehen.
    »Sie nehmen doch sicher einen Drink?«, sagte er.
    »Sehr gern«, sagte Jacquemort.
    Angel schenkte zwei Gläser vom hausgemachten Ploustochnik ein.
    »Schmeckt famos!«, lobte Jacquemort.
    Da der andere nicht antwortete, fügte er hinzu:
    »Alles in allem, wie kommt es Ihnen vor, Vater zu sein?«
    »Es ist alles andere als lustig«, sagte Angel.

8
    29. August
    Clémentine war allein. Nicht das leiseste Geräusch im Zimmer. Nur hin und wieder das sanfte Plätschern der Sonne um die Vorhangsäume.
    Erleichtert, gänzlich abgeschlafft, strich sie sich mit den Händen über ihren flachen Leib. Ihre geschwollenen Brüste hingen schwer herunter. Sie empfand ihrem Körper gegenüber Mitleid, Gewissensbisse, ja Schande, und vergaß das tags zuvor verschmähte Leintuch. Ihre Finger wanderten die Umrisse ihres Halses, ihrer Schultern, der anomalen Schwellung ihrer Brüste ab. Ihr war ein wenig zu heiß. Zweifellos Fieber.
    Undeutlich war der ferne Lärm des Dorfes durchs Fenster zu hören. Es war die Zeit, in der auf dem Feld gearbeitet wurde. Aus dumpfen Ställen drang das Brüllen des Viehs herauf, das dort eingepfercht büßte, aber es klang weniger erzürnt, als es sich eigentlich hätte anhören sollen.
    Neben ihr schliefen die kleinen Bälger. Sie nahm eins, unterdrückte dabei einen leichten Ekel und hielt es mit ausgestreckten Armen über sich. Es war rosig, hatte einen kleinen feuchten Polypenmund und fleischerne Falten anstelle von Augen. Sie wandte den Kopf ab, machte eine Brust frei und legte den Kleinen daran. Sogleich ballte er die Fäuste, und seine Wangen höhlten sich. Hatte er einen Mundvoll gesogen, schluckte er ihn mit einem ordinären Kehllaut hinunter. Das war nicht sehr angenehm. Es schaffte zwar Erleichterung, ließ aber auch ein wenig das Gefühl von Verstümmelung zurück. Die Brust kaum zu zwei Dritteln leer getrunken, empfahl sich der kleine Racker und ließ sich mit ausgebreiteten Händen und einem dreckigen Schnarchen schlaff hintenübersinken. Clémentine legte ihn wieder neben sich, und ohne sein Grunzen einzustellen, machte er mit seinem Mund eine sonderbare Fressreflexbewegung, noch im Schlaf saugend. Sein kleiner Schädel zeigte kümmerlichen Flaumbewuchs, die Fontanellen pulsten auf beunruhigende Weise, unwillkürlich hätte man mitten draufdrücken mögen, um sie zu stoppen.
    Das Haus erzitterte unter einem dumpfen Schlag. Das schwere Haustor unten war gerade ins Schloss gefallen, Jacquemort und Angel waren gegangen. Clémentine konnte über Leben und Tod dieser drei Kreaturen, die neben ihr schliefen, verfügen. Es lag alles bei ihr. Sie streichelte ihre schwere und schmerzende Brust. Es würde schon ausreichen, alle drei zu ernähren.
    Das Zweite stürzte sich gierig auf die braune Brustwarze, von der sein Bruder gerade abgelassen hatte. Er sog nun ganz ohne Hilfe, sie streckte sich dabei. Die Schritte von Jacquemort und Angel knirschten über den Kies im Hof. Das Baby trank. Das Dritte regte sich im Schlaf. Sie nahm es hoch und gab ihm die

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