Der Hexer - NR05 - Die Chrono-Vampire
den fremdartigen scharfen Geruch, der die Luft erfüllte.
Und die Motten waren nicht nur unten in der Halle. Auch die Treppenstufen waren von dem grauen Schnee bedeckt, und als ich den Blick senkte, gewahrte ich auch unter meinen Füßen eine dünne, graue Schicht, in der es ununterbrochen zu zucken und zu beben schien, zertrampelt und aufgewühlt von den Spuren des Kampfes, aber allgegenwärtig.
Dann begann der lähmende Schrecken zu weichen, und ich sah, daß die drohende Bewegung nur meiner Einbildung entsprungen war.
Die Motten rührten sich nicht mehr, so wenig wie die, die den Boden der Halle bedeckten.
Sie waren tot.
Alle.
* * *
Der Mann erwachte aus seiner Starre. Stundenlang hatte er wie tot dagestanden, ohne sich zu bewegen, ohne auch nur die Lider zu heben, ja, selbst ohne zu atmen. Es war nur sein Körper gewesen, der unter dem Dach des verfallenen Hauses zurückgeblieben war. Sein Geist hatte an einem anderen Ort geweilt, nur ein paar Meilen entfernt und doch durch Welten von dem einzeln dastehenden, abbruchreifen Haus entfernt.
Jetzt erwachte er. Seine Brust hob sich mit einem mühevollen Atemzug, und sein Blick irrte einen Moment unstet hin und her, als fände er den Weg in die Wirklichkeit nicht gleich zurück.
Etwas war nicht so, wie es sein sollte.
Er wußte nicht, was es war. Er hatte getan, was man ihm aufgetragen hatte, aber irgend etwas anderes, Fremdes, etwas... ja, Feindseliges hatte das geistige Band, das ihn mit dem Haus am anderen Ende der Stadt verband, zerschnitten.
Lange Zeit stand er schweigend im Dunkeln und starrte den grauweißen Riesenkokon vor sich an. Nur wenige Motten waren darauf zurückgeblieben, als die Dunkelheit und die Zeit ihres Schwärmens gekommen war, und auch sie wirkten seltsam träge und schwach. Als lähmte sie etwas, dachte der Mann.
Aber was? Er versuchte erneut, Kontakt mit seinen mörderischen kleinen Dienern aufzunehmen, aber die Verbindung war abgeschnitten; etwas blockierte die Wege, die sein Geist gegangen war, um die Tiere zu lenken.
Wieder vergingen Minuten, bis der dunkel gekleidete Fremde aus seiner Starre erwachte. Er trat noch einmal an den gewaltigen grauen Kokon heran, streckte die Hand aus, als wolle er ihn berühren, führte die Bewegung aber nicht zu Ende, sondern wandte sich im letzten Moment um und verließ mit raschen Schritten den Dachboden. Die ausgetretenen Stufen ächzten unter seinem Gewicht, als er die baufällige Treppe hinuntereilte.
Er würde wiederkommen. Er würde wiederkommen und herausfinden, was es war, das ihn an der Vollendung seiner Aufgabe hinderte. Er würde es herausfinden, das Hindernis beseitigen und tun, wozu er gekommen war. Er zweifelte nicht daran, denn er war etwas, das man ihm nicht ansah, etwas, das ihn mächtiger und gefährlicher machte als die, deren Gestalt er sich bediente, solange er in dieser Stadt war.
Er war ein Magier.
* * *
Howards Hand zitterte so stark, daß er fast das Streichholz fallen ließ, mit dem er seine Zigarre anzünden wollte. Er war bleich, und sein Atem ging stoßweise und schnell, als wäre er meilenweit gelaufen.
Auf der Tischplatte vor ihm stand ein geleertes Glas, auf dessen Boden noch ein kleiner Rest goldgelben Whiskys schimmerte; es war das achte oder neunte, das er im Laufe der letzten halben Stunde hinuntergestürzt hatte. Aber die beruhigende Wirkung des Alkohols war bisher ausgeblieben.
Es war seltsam still geworden in der Bibliothek. Obwohl sich annähernd zehn Personen in dem kleinen Raum aufhielten, war es so ruhig, daß man die berühmte Stecknadel hätte fallen hören können.
Ich fühlte mich elend. Es waren nicht allein die pochenden Schmerzen, die wie kleine brennende Nadeln von meinen geschundenen Rippen ausgingen und jeden Atemzug zu einer Qual machten, und nicht allein die Schwäche und die Nachwirkungen der Todesangst, die ich in wenigen Minuten ein dutzend Mal hintereinander gespürt hatte.
Mein Blick tastete über die Gesichter der drei Dienstboten, die eng nebeneinander auf der winzigen Couch unter dem Fenster saßen; zwei Frauen, der junge Bursche, den ich als Kutscher und Mann fürs Grobe eingestellt hatte, und hinter ihnen Charles, mein neuer Majordomus. Von allen hatte sich Charles vielleicht noch am besten in der Gewalt, denn er war ein Mann, der es ein Leben lang gelernt hatte, seine Gefühle hinter einer Maske von Freundlichkeit zu verbergen. Aber auch in seinen Augen loderte die Angst.
Und es waren nicht nur ihre Gesichter, die ich
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