34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata
ERSTES KAPITEL
In Montevideo
Ein kalter Pampero strich über die meerbusenartige Mündung des La Plata herüber und bewarf die Straßen von Montevideo mit einem Gemisch von Sand, Staub und großen Regentropfen. Man konnte nicht auf der Straße verweilen, und darum saß ich in meinem Zimmer des Hotel Oriental und vertrieb mir die Zeit mit einem Buch, dessen Inhalt sich auf das Land bezog, welches ich kennenlernen wollte. Es war in spanischer Sprache geschrieben, und die Stelle, bei welcher ich mich jetzt befand, würde in deutscher Übersetzung ungefähr lauten:
„Die Bevölkerung von Uruguay und der argentinischen Länder besteht aus Nachkommen der Spanier, aus einigen nicht sehr zahlreichen Indianerstämmen und aus den Gauchos, welche zwar Mestizen sind, sich aber trotzdem als Weiße betrachten und sich stolz auf diesen Titel fühlen. Sie vermählen sich meist mit indianischen Frauen und tragen dadurch das Ihrige bei, die Bevölkerung des Landes wieder den Ureinwohnern zu nähern.
Der Gaucho hat in seinem Charakter die wilde Entschlossenheit und den unabhängigen Sinn der Ureinwohner und zeigt dabei den Anstand den Stolz, die edle Freimütigkeit und das vornehme, gewandte Betragen des spanischen Caballero. Seine Neigungen ziehen ihn zum Nomadenleben und zu abenteuerlichen Fahrten. Ein Feind jeden Zwangs, ein Verächter des Eigentums, welches er als eine unnütze Last betrachtet, ist er ein Freund glänzender Kleinigkeiten, welche er sich mit großem Eifer verschafft, aber auch ohne Bedauern wieder verliert.
Er ist ferner ein kühner, todesmutiger Beschützer seiner Familie, welche er aber ebenso hart behandelt wie sich selbst; mißtrauisch, weil er unzählige Male betrogen worden ist, schlau aus Instinkt und Vorsicht, achtet er den Fremden, ohne ihn zu lieben, dient er dem Städter, ohne ihn zu achten, und hat niemals begreifen gelernt, wie man in seine Heimat kommen konnte, um die Herden auszubeuten, welche die seinigen geworden waren und von denen er nichts verlangte als den täglichen Lebensunterhalt, ohne sich um den vorhergehenden und den folgenden zu Tag kümmern.
Seit sich im Lande eine besitzende Klasse gebildet hat, ruht der Gaucho, welcher sich tapfer für die Befreiung von dem spanischen Joch schlug, vom Sieg aus, hat niemals Belohnung verlangt und begnügt sich mit der bescheidenen Rolle, das Eigentum anderer zu schützen, wofür er nichts fordert, als daß man nie vergesse, daß er ein freier Mann sei und seine Dienst freiwillig leiste.
Die Bewaffnung des Gaucho bildet der Lasso, ein langer, lederner Riemen mit einer Schlinge, die Bolas und außerdem im Falle des Krieges eine Lanze.
Der Ruhm des Gaucho besteht in der Geschicklichkeit, mit welcher er den Lasso wirft. Ein mehr als dreißig Fuß langer Riemen ist mit dem einen Ende an dem Schenkel des Reiters befestigt; das andere läuft in eine bewegliche Schlinge aus. Diese Schlinge wird um den Kopf geschwungen und nach dem fliehenden Tier geworfen. Trifft sie den Hals oder die Füße, so wird sie durch den Widerstand des Tieres zugezogen. Die Aufgabe des Pferdes ist es nun, die Erschütterung des Riemens auszuhalten, bald nachzugeben, bald Widerstand zu leisten. Der Reiter versucht indes, das Tier nach einem Ort zu ziehen, wo er es niederwerfen kann. Diese Art des Schlingenwerfens, welche man laceara muerte nennt, ist sehr gefährlich und erfordert große Übung. Man hat viele Beispiele, daß durch die Verwickelung des Riemens dem Reiter die Beine zerbrochen worden sind. Der Lasso hängt beständig am Sattel des Gaucho. Widerspenstige Pferde, Ochsen, Hammel, alles wird mit der Schlinge gebändigt oder gefangen.
Die Bolas sind drei an Riemen zusammenhängende Bleikugeln. Zwei werden um den Kopf geschwungen, die dritte aber festgehalten, bis man sicher ist, das Tier mit dem Wurf zu erreichen. Die Kugeln schlingen sich dann um die Beine desselben und bringen es zu Fall.
Die Hauptleidenschaft des Gauchos ist das Spiel; die Karten gehen ihm über alles. Auf den Fersen hockend, das Messer neben sich in die Erde gesteckt, um einen unehrlichen Gegner sofort mit einem Stich in das Herz bestrafen zu können, wirft er das Kostbarste, was er besitzt, in das Gras und wagt es kaltblütig.
In der Estancia arbeitet der Gaucho nur, wenn es ihm gefällig ist, gibt seinem Dienstverhältnis ein Gepräge von Unabhängigkeit und würde es niemals dulden, daß sein Herr so unhöflich wäre, in ihm nicht die Eigenschaft des Caballeros anzuerkennen, deren er sich
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