Der Hexer - NR13 - Der Clan der Fischmenschen
und wieder kämpfte sie das Gefühl nieder.
Aber diesmal kostete es sie sehr große Anstrengung, und zurück blieb eine Furcht, die wie das Fieber einer Krankheit in ihren Eingeweiden wühlte.
Es wurde jetzt rasch dunkel. Von Westen – vom Meer her – trieben schwarze Wolken wie rauchige Fäuste heran, und obgleich sie so lag, daß ihr der Bootsrand den Blick auf den See verwehrte, wußte sie, daß seine Oberfläche jetzt gekräuselt und vom Wind zu einem Muster aus Millionen ineinanderlaufender Kreise gemacht wurde. Es hatte einmal eine Zeit gegeben – und sie lag noch nicht einmal sehr lange zurück – da hatte sie diesen Anblick geliebt. Manchmal war sie sogar die drei Meilen vom Dorf her heraufgekommen, nur um diesen flüchtigen Augenblick zwischen Dämmerung und Nacht zu erleben, den kurzen Moment, in dem sich Licht und Dunkelheit zu einer verzauberten Welt vermischten.
Aber das war gewesen, bevor sie das Geheimnis von Loch Firth kennengelernt hatte.
Bevor die Angst Einzug in ihr Leben gehalten hatte.
Ein eisiger Windhauch strich säuselnd über den See, und wieder schaukelte das Boot wie von unsichtbaren Händen bewegt auf den Wellen. Diesmal war sich Jennifer nicht mehr sicher, ob das Kratzen und Schaben, das sie zu hören glaubte, wirklich nur ihrer Einbildung entsprang. Sie hatte gehört, daß er erst kommen würde, wenn der Mond vollends aufgegangen war – aber wer sagte ihr, daß das stimmte? Vielleicht war er schon da, lauernd und unsichtbar, verborgen hinter den dichter werden Schatten der Nacht und auf eine Gelegenheit wartend, sie zu packen und zu sich herabzuziehen in die eisigen schweigenden Tiefen seines Reiches.
Noch einmal bäumte sich Jennifer mit aller Kraft gegen die Fesseln auf, zerrte und zog mit aller Macht an den verdrillten Hanfschnüren, die ihre Gelenke banden.
Dann riß einer der Stricke. Plötzlich waren ihre Füße frei und schlugen hart gegen den Bootsrand. Die Erschütterung ließ das kleine Schiffchen noch stärker schaukeln. Ein Schwall eisigen Wassers schwappte über seine niedrige Bordwand, durchnäßte Jennifer bis auf die Haut und drang ihr in Mund und Nase.
Aber der Schock, mit dem das Wasser wie eine Hand in ihr Gesicht klatschte, wirkte wie eine Ohrfeige. Jennifer hustete, setzte sich umständlich auf und spie Wasser und bittere Galle aus. Jetzt, da ihre Beine frei waren, konnte sie auch die Stricke abstreifen, die sie am Boden des Bootes gehalten hatten. Mit der Kraft der Verzweiflung warf sie sich herum, schüttelte die Hanfschnüre ab und hob die gefesselten Hände an den Mund. Wie besessen zerrte sie mit den Zähnen an ihren Fesseln, riß sich dabei die Lippen blutig und spürte den Schmerz nicht einmal.
Irgendwo hinter ihr erscholl ein helles, lang anhaltendes Platschen.
Jennifer erstarrte. Ihr Herz schien für eine schreckliche, endlose Sekunde auszusetzen und dann schneller und unrhythmisch weiterzuhämmern. Entsetzt fuhr sie herum. Ein heller, halb erstickter Schrei kam über ihre Lippen, während der Blick ihrer geweiteten Augen über den See raste. Die Nacht war vollends hereingebrochen, und der See erstreckte sich wie eine Ebene aus stumpfem Silber vor ihr, tausendemal größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Schatten huschten über seine Oberfläche, und plötzlich waren da Wellen, die nicht sein durften, eine Bewegung, die anders und machtvoller war als die des Windes. Etwas am Schaukeln des Bootes änderte sich, der See schien zu beben, und mit einem Male spürte sie, wie sich etwas Großes, unglaublich Machtvolles dem Boot näherte.
Jennifer schrie. Plötzlich war der Rest ihrer Selbstbeherrschung dahin, alles, was sie noch empfand, waren Angst und Grauen und eine Panik, die jeden vernünftigen Gedanken erstickte. Er war da!
Das Boot erzitterte, als irgend etwas unten gegen seinen Rumpf stieß. Jennifer schrie abermals, stemmte sich in die Höhe – und ließ sich über die Bordwand fallen.
Das Wasser schlug wie eine eisige Decke über ihr zusammen. Sie wußte, daß sie es nicht schaffen würde, im gleichen Moment, in dem sie ins Wasser eintauchte und die Kälte fühlte. Sie war eine ausgezeichnete Schwimmerin, aber ihre Hände waren noch immer gefesselt, und das Wasser war so kalt, daß sich jeder einzelne Muskel in ihrem Körper zu verkrampfen schien.
Blindlings warf sie sich herum, strampelte mit den Beinen und bekam den Kopf über Wasser. Sie wollte atmen, aber die Kälte lähmte sie. Ihr Mund stand weit offen, aber sie bekam keine
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