Performer, Styler, Egoisten
Vorwort
DieJugend ist ein sensibler Seismograph für gesellschaftliche Missstände. Meist reagiert sie schon lange, bevor Erwachsene von den Problemen etwas mitbekommen. Beweis sind die Demonstrationen der Jugend in vielen Städten Europas in den letzten Jahren. Auch die Occupy-Bewegung und der Aufstand der Indignados in Spanien illustrieren, dass unsere Gesellschaft für alle, insbesondere aber für die Jugend, immer weniger lebenswert geworden ist. Leider sind diese Bewegungen bis dato nur ein kurzes Aufflackern von Protest gewesen und in der Zwischenzeit schon wieder von der Normalität der Leistungs- und Konkurrenzgesellschaft an den Rand gedrängt worden. Es gibt offenbar zu wenige Energieressourcen für den Widerstand in einer Zeit, in der die Menschen ihre ganze Energie für den täglichen Konkurrenzkampf verbrauchen.
Leben ist kein Vergnügen mehr. Anstelle von Selbstverwirklichung und der puren Freude am Dasein regieren Zukunftsangst und Depression den Alltag. Eine menschenverachtende Leistungsideologie, propagiert von durch Ehrgeiz und Allmachtsfantasien getriebenen Neo-Yuppies, ist dabei, die für das Zusammenleben der Menschen so wichtigen Werte wie Toleranz, Solidarität, Gerechtigkeit und Mildtätigkeit zu verdrängen. Das Prinzip „homo homini lupus“ macht nur jene glücklich und zufrieden, die von einer der amerikanisierten, durch die Wirtschaft finanzierten Ausbildungsfabriken zu amoralischen Egowesen geformt wurden. Die anderen, noch nicht komplett angepassten jungen Menschen sind schockiert und verzweifelt, lassen ihren Frust auf der Straße heraus, richten die Aggression im Alkohol- und Drogenkonsum gegen sich selbst oder flüchten sich in Passivität und Gleichgültigkeit gegenüber der Gesellschaft.
„Ökonomisierung des Lebens“ lautet einer der zentralen Begriffe der aktuellen Gesellschaftsanalyse und er verweist darauf, dass heute nur mehr das begründbar und berechtigt ist, was sich vor dem Richterstuhl der ökonomischen Imperative bewähren kann. Was nicht der ökonomischen Logik gehorcht, sich nicht verwerten lässt, wird an den Rand gedrängt, exkludiert, auch wenn es sich dabei um Menschen handelt. Die einzig berechtigten Werte scheinen materielle Werte zu sein. Wer für Gerechtigkeit und sozialen Idealismus plädiert, der wird von neokonservativen Pragmatikern und egozentrischen Utilitaristen freundlich und milde belächelt.
Hintergrund all dieser Entwicklungen ist eine Bildungsmisere höchster Güte. Bildung wird durch Ausbildung ersetzt. Gut ausgebildete kalte TechnokratInnen, dazu erzogen, ihre Projekte voranzutreiben, ohne dabei an die gesellschaftlichen Folgen zu denken, sollen den noch verbliebenen Rest der humanistischen Eliten ersetzen. Kritische Reflexionen sind nicht mehr gefragt. Gerne lässt man sich dirigieren von vor Positivität triefenden Managementtrainern. Die Welt ist schön, alles ist super, wir packen das, was wir uns vornehmen.
In einer solchen Kultur ist einer, der etwas kritisch hinterfragt, schnell ein Miesmacher und Nestbeschmutzer. Motiviertes und fleißiges Tun nach Vorgaben ohne eigenständiges Denken ist gefragt. Bildung als Erziehung des Menschen zur Freiheit, Bildung als Persönlichkeitsbildung, Bildung als Förderung von kreativen und ästhetischen Fähigkeiten, Bildung der „Gesinnung und des Charakters“ (Humboldt) – alles längst verabschiedet und auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Und die Konsequenzen des Ganzen für die Jugend? Sie muss in einer so genannten Erfolgsgesellschaft leben, in der es nicht darauf ankommt, ob man in der Lage ist, den Plural von „der Chor“ richtig zu bilden, sondern darauf, dass man sich einen teuren Friseur, modische Anzüge und zweimal die Woche den Gang ins Solarium leisten kann. Denn der Erfolg ist von der Inszenierungsfähigkeit abhängig, nicht von der Leistung und schon gar nicht von der Klugheit. Denn klug sein ist nicht mehr cool in unserer Gesellschaft. Überlassen wir es dem flapsigen, nicht politisch korrekten Schauspielerjargon von Moritz Bleibtreu, die Sache auf den Punkt zu bringen: „In den 70er Jahren hat man Frauen bekommen, weil man über Adorno geredet hat, das funktioniert heute nicht mehr. Ich wünsche mir, dass es wieder cool wird, klug zu sein.“
Jeder, der die Bildungsdebatten der letzten Jahre auch nur am Rande verfolgt hat, wird wissen, dass das, was Humboldt und andere Humanisten unter Bildung verstanden haben, heute kaum noch Akzeptanz findet. An die Stelle
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