Der Hexer - NR20 - Unter dem Vulkan
passiert ist?« fragte ich anstelle einer direkten Antwort. »Was bringt Sie auf die Idee, daß Shannon und ich Eldekerk ermordet haben sollen?«
»Seine eigene Aussage«, antwortete Harmfeld. »Er wurde gefunden, Craven, mit einem Messer im Bauch. Er konnte gerade noch Ihren Namen sagen, ehe er starb.«
»Und das reicht für Sie, mich eines Mordes zu bezichtigen?« keuchte ich. »Sind Sie von Sinnen?«
Harmfeld lächelte. »Nein. Vielleicht sind Sie ja wirklich unschuldig, Craven. Aber wenn, dann frage ich mich, warum Sie und Ihr sonderbarer Freund nicht einfach mit uns gekommen sind. Sie müssen zugeben, daß es etwas befremdlich wirkt, wenn jemand, der sich nichts vorzuwerfen hat, unter ziemlich dramatischen Umständen flieht, kaum daß ich auftauche.«
»Aber ich habe es Ihnen erklärt!« sagte ich wütend. »Mehr als einmal.«
Harmfeld bedachte mich mit einem fast mitleidigen Blick; ein Blick, der den dumpfen Zorn, der in mir brodelte, zu neuer Glut entfachte. Für einen Moment war ich nahe daran, ihn schlichtweg zu hypnotisieren, wie Shannon es zuvor getan hatte. Aber ich tat es nicht. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es gekonnt hätte, denn was immer Tergard mit meinem Geist angestellt hatte, wirkte noch immer nach; meine magischen Kräfte waren längst noch nicht wieder vollkommen regeneriert.
Aber ich hätte es wohl auch nicht getan, wäre ich im Vollbesitz meiner Fähigkeiten gewesen. Es hat mir schon immer widerstrebt, einen Menschen zu Dingen zu zwingen, die er nicht wollte; und in diesem Falle wäre es allerhöchstens schädlich gewesen. Hypnose ist ein zweischneidiges Schwert. Man kann einen Mann dazu bringen, seine eigene Mutter auf dem Sklavenmarkt zu verkaufen, aber egal, wie perfekt man ist, jemand, der unter Hypnose handelt, ist wenig mehr als eine Puppe, kaum zu eigenen Entscheidungen fähig. Ich wußte noch immer nicht genau, was auf dieser Insel vorging, aber was immer es war, es war etwas Gewaltiges; etwas, bei dem ich keine Helfer brauchen konnte, die mit Mühe und Not bis drei zählen können.
Vom Gipfel des Krakatau her erscholl ein dumpfes, drohendes Grollen, wie um meine Gedanken zu unterstreichen. Harmfeld sah auf und blickte aus eng zusammengepreßten Augen zur Caldera des Riesenvulkanes hinauf. Flammen und rotglühendes Gestein, das durch die große Entfernung wie ein Schwarm harmloser kleiner Fünkchen aussah, schossen gegen die tiefhängenden Wolken. Für einen Moment glaubte ich ein sanftes, aber ungemein machtvolles Zittern und Beben unter den Füßen zu spüren.
»Der Berg ist unruhig«, murmelte Harmfeld.
»Wird er ausbrechen?« fragte ich.
»Ausbrechen?« Der Kapitän der ZUIDERMAAR wiederholte das Wort mit sonderbarer Betonung, sah mich an und schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht«, sagte er. »Ich bin seit mehr als zehn Jahren hier, aber er ist noch nie ausgebrochen. Ein bißchen Gerumpel, ein paar Flammen... aber das war auch alles.« Er seufzte, wandte sich mit einem Ruck ab und blickte wieder zur Stadt hinüber. Die Flammen tobten wie eh und je, aber das Schießen und Schreien hatte abgenommen. Ich war mir nicht sicher, ob das wirklich ein gutes Zeichen war.
Plötzlich erscholl über uns der helle Laut einer Schiffspfeife. Harmfeld sah rasch zum Mast hinauf, wandte sich dann wieder der Insel zu und lehnte sich über die Reling, so weit er konnte. »Die Boote kommen zurück!« Einen Moment lang blickte er aus zusammengepreßten Augen hinaus in die Dunkelheit, dann wandte er sich halb um und machte ein Zeichen mit der Hand. Sekunden später ertönte ein scharfer Knall, und ein Magnesiumgeschoß stieg vom Deck der ZUIDERMAAR auf und warf zuckendes, grellweißes Licht auf das Meer.
Harmfeld stieß einen entsetzten Schrei aus. Statt der erwarteten Flotte kleiner Pinassen trieb nur ein einziger, massiger Umriß auf die ZUIDERMAAR zu. Und es war auch kein Boot, sondern ein gräßliches, braunschwarz glitzerndes Etwas, zuckend und peitschend wie ein Klumpen ekelhafter Gallerte, der auf einem Dutzend grotesk mißgestalteter Beine über das Meer herangestakst kam!
»Das... das ist das Ungeheuer, das die Majunde entführt hat!« keuchte ich. »Um Gottes willen, Harmfeld – wir müssen hier verschwinden!«
Aber es war, als würde der Kapitän der ZUIDERMAAR meine Worte überhaupt nicht hören. Gelähmt und starr vor Schrecken stand er da und starrte die näherkommende Scheußlichkeit an. Die Leuchtkugel brannte aus, aber beinahe sofort stieg ein zweites
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