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Heinermaedsche

Heinermaedsche

Titel: Heinermaedsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann-Sophie Aigner
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    Ein langes blondes, nein, das traf es nicht ganz, ein sehr langes und sehr blondes Haar strahlte ihr von Hermanns marineblauem Anzug entgegen.
    Eva Fröhlich war eine wohlsituierte Dame in den besten Jahren. Zweimal jährlich sortierte sie die Anzüge ihres Mannes in seinem Ankleidezimmer nach Saison und Farbe neu. Den blauen Anzug hatte sie ihm letzten Monat in Darmstadt gekauft. Doch weder sie noch die nette Verkäuferin der Boutique hatten derart blonde Haare. Das war schon kein Blond mehr, eher ein unangenehm stechendes Weiß. Diese Farbe, sofern man es noch als Farbe bezeichnen konnte, hatte etwas Unnatürliches, etwas Nüchternes, etwas Steriles, etwas völlig Abstoßendes an sich.
    Was für ein Schreck! Eva hyperventilierte und musste sich erst einmal hinsetzen. Da ihr der Weg zu ihrem kostbaren Biedermeierstuhl zu weit war und sie befürchtete, ihre Beine würden ihr gänzlich den Dienst versagen, ließ sie sich an Ort und Stelle auf den weichen Teppich sinken.
    Das konnte doch nicht sein! Das durfte einfach nicht sein. Wo kam dieses Haar nur her?
    Keine Panik. Erst einmal tief durchatmen. Alles wird wieder gut. Keine Panik. Und noch einmal tief durchatmen.
    Was für ein schreckliches Wort – P-A-N-I-K – , aber in diesem Moment so ungeheurer treffend. Panik. Eva durfte auf gar keinen Fall den Blick für das Wesentliche verlieren. Für diesen Fund musste es eine einleuchtende Erklärung geben. Bestimmt stammte es von Hermanns Assistentin. Die Haarfarbe passte genau. Seit er die Stelle bei der Bank angenommen hatte, war eine eigene Sekretärin für ihn selbstverständlich. Das gehörte einfach zu seiner Position dazu. Diese unmögliche Frau Jung. Wie ihr Name schon sagte, war sie unverschämt jung und zudem äußerst plump. Seit ihrer Einstellung im vergangenen Jahr war sie Eva ein Dorn im Auge.
    Sie wusste sich einfach nicht zu benehmen. Jedes Mal goss sie Milch in den Kaffee der Gäste, ungeachtet dessen, ob sie überhaupt Milch vertrugen. Bei manchen Menschen führte der Genuss von Milch bekanntlich zu unangenehmen Nebenwirkungen. Das konnte sich bei einer Vorstandssitzung störend auswirken. Servietten reichte sie prinzipiell nicht mit dem Gebäck.
    Den Gedanken, was Frau Jung womöglich angestellt hatte, um ihr Haar auf Hermanns Anzug zu platzieren, durfte Eva keinesfalls weiterspinnen. Fest stand nur, dass diese Frau Jung keinerlei Anstand besaß!
    Besuchte Eva Hermann im Büro, platzte Frau Jung jedes Mal hinein. Dabei schien sie gar nicht zu bemerken, dass sie unerwünscht war. Ihre Röcke waren prinzipiell zu kurz, der Ausschnitt zu tief und der Lippenstift eine Spur zu grell. Welche fachlichen Qualitäten zu ihrer Einstellung geführt hatten, war Eva gänzlich unklar. Hatte es allein an der äußeren Entscheidung gelegen? Das konnte sie sich nicht vorstellen. Hermann schienen diese Attribute jedenfalls nicht sonderlich zu interessieren. Er war ständig unterwegs, bei Besprechungen außerhalb der Bank.
    Eva musste unbedingt Gewissheit haben, was es mit diesem Haar auf sich hatte. Erneut lief ihr ein kalter Schauer über den Rücken, als sie nur daran dachte. Lange überlegte sie, wie sie sich ihrem Mann gegenüber verhalten sollte. Eine äußerst unangenehme Situation. Und dazu noch so überraschend. Sie war mit ihrem Fund völlig überfordert.
    War ihre Ehe doch in den letzten 20 Jahren insgesamt glücklich verlaufen, ohne dass es nennenswerte Skandale gegeben hätte. Obschon sie sich manchmal von ihrem Mann nicht richtig geliebt gefühlt hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, auch nur den Hauch eines Zweifels an ihrer Ehe zu äußern. Lieber zog sich Eva in sich selbst zurück und verarbeitete ihre verletzten Gefühle, indem sie sich einen schönen Film anschaute und einen guten Wein dazu trank. Auf ihre Loyalität ihrem Mann gegenüber war sie sehr stolz.
    Längst nicht jede Ehe verlief so friedlich. Na, sicher stritten sie sich manchmal, aber das war nichts, was nicht mit einem guten Essen wieder in Ordnung gebracht werden konnte. Welch wertvolles Gut ihre Ehe war, war Eva wieder bewusst geworden, als sich ihre Bekannte Helga vor gut einem Jahr vertrauensvoll an sie gewandt hatte. Helga wohnte einige Häuser entfernt und mochte Eva sehr. Sie kannten sich seit der gemeinsamen Zeit auf der Edith-Stein-Schule. Sie hatten dieselbe Klasse besucht und waren Schulfreundinnen gewesen, hatten jedoch gänzlich unterschiedliche Interessen gehabt. Helga war schon sehr früh dem männlichen Geschlecht

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