Der Hexer - NR39 - Die Rache des Schwertes
ihren unergründlichen, dunklen Augen.
Guillaume merkte kaum, daß sie der Sandrose immer näher kamen; er befand sich in einem Zustand, der irgendwo zwischen Schlaf und Wachen, zwischen Trance und totaler Erschöpfung war. Bis vor kurzem hatte er noch etwas gehabt, womit er sich ablenken konnte – die Jagd auf Robert Craven und Sill el Mot. Sie hatte ihn längst nicht mehr wirklich interessiert, so wenig wie ihn die Sandrose interessierte, die anderen Templer, selbst sein Glaube, für den er noch vor wenigen Tagen mit Freuden sein Leben geopfert hätte. Aber sie war ihm gerade recht gekommen, seine Gedanken abzulenken, ihr Bild – wenigstens für eine Weile – aus seinem Geist zu verdrängen.
Jetzt ging nicht einmal mehr das.
Sie ritten durch die Wüste, die an dieser Stelle eine bizarre Mischung aus ineinanderfließenden Fels- und Sandformationen war, aber er sah nichts von all den bizarren Schöpfungen einer launischen Natur. Er sah nur sie.
Hatte sie nicht gesagt, daß sie kommen würde, wann immer er sie rief? Sie, die Frau, die nach seinen Gedanken und Wünschen erschaffen worden war, das Weib seiner Träume, dem all sein Sehnen galt – immer gegolten hatte, auch lange, bevor er sich dessen bewußt geworden war.
Und er hatte sie gerufen, tausendmal.
Er hatte in seinen Gedanken verzweifelt nach ihr geschrien, immer und immer wieder.
Aber sie war nicht gekommen.
Guillaume de Saint Denis wußte, daß er sterben würde, wenn es ihm nicht gelang, sie wiederzusehen.
Fast ohne sein Zutun kroch seine Hand zum Gürtel, schmiegte sich um das Yighhurat, das er darunter verborgen hatte, und zog sich so hastig wieder zurück, als hätte sie glühendes Eisen berührt.
Nein, dachte er.
Er würde der Versuchung widerstehen.
Noch war er stark genug dazu.
Noch...
* * *
Der Anblick der Wüstenfestung traf mich wie ein Schock. Ich hatte ein altes römisches Kastell erwartet, eine arabische osmanische Trutzburg, vielleicht sogar etwas so Bizarres wie Nizars Alptraumfestung – aber nicht das!
Unser kleiner Trupp hatte angehalten, als wolle Guillaume de Saint Denis Sill und mir ausreichend Gelegenheit geben, das Ding zu bewundern, das unter uns lag, halb im lockeren Flugsand der Wüste versunken, halb mit dem zerschundenen Fels verwachsen, der aus ihm hervorblickte.
Es war das phantastischste Gebilde, das ich jemals gesehen hatte. Keine Festung der GROSSEN ALTEN. Keine arabische Ausgabe der Drachenburg. Nichts von alledem, was ich zu sehen erwartet hatte.
Unter uns lag eine gigantische Sandrose, ein berggroßes Ding aus erstarrtem Salz und Kristall, übersät mit Tausenden bizarrer Auswüchse, die sich wie die Zweige eines Baumes über das Tal erstreckten und sich wohl auch unter der Wüste fortsetzten.
Vier Mamelucken standen am Fuß der Sandrose; winzige bunte Spielzeugfiguren vor dem Hintergrund des gewaltigen Gebildes. Als sie uns erkannten, liefen sie uns entgegen und ergriffen die Zügel, die ihnen die Templer zuwarfen.
»Wo ist Bruder Valois?« fragte de Saint Denis hastig.
Einer der Mamelucken antwortete in einem mir unbekannten Dialekt und deutete heftig gestikulierend auf die Sandrose. De Saint Denis fluchte ungehemmt. Wütend sprang er aus dem Sattel, lief einen Schritt auf das unmögliche Gebilde zu und blieb wieder stehen.
Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Die Templer waren dort drinnen!
Ich erschauderte.
Es war eine Sandrose gewesen, die mich letztendlich hierher nach Arabien gelockt hatte. Ich hatte Ali von einer Sandrose reden hören und die Templer erbleichen sehen, als einer von ihnen einmal – fast im Zufall – diesen Begriff erwähnte. Aber ich hatte nicht ahnen können, daß sie das hier damit meinten. Dieses Ding war zehnfach größer als eine Festung.
»Ich werde Bruder Valois das Auge bringen«, sagte Guillaume. »Mit den Gefangenen befassen wir uns später, wenn der Sieg errungen ist. Brüder de Cadoux und de Mere – ihr haftet mit eurem Leben für sie. Die anderen kommen mit mir, um unsere Verluste auszugleichen. Adschoub wird uns führen!«
»Seid ihr bereit, Herr?« Der Genannte trat auf de Saint Denis zu und kreuzte die Arme vor der Brust.
De Saint Denis nickte. »Vier Mann bleiben hier, um die Gefangenen zu bewachen«, ordnete er an. »Der Rest folgt mir!« Mit diesen Worten ging er auf die Wand der Sandrose zu – und verschwand in ihr! Er trat nicht etwa hindurch oder teilte sie wie weiland Moses das Rote Meer – nein, er verschwand. Von einer Sekunde auf
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