Der Hexer - NR44 - Endstation Hölle
erkundigten, da hieß es, der junge Inder habe sein Pferd aus dem Stall geholt und sei wie vom Teufel gehetzt nach Westen geritten.
»Schade«, meinte Howard. »Aber irgendwie kann ich ihn verstehen!«
Er blickte Rowlf in die Augen, und in ihnen stand dasselbe zu lesen wie in den seinen. Sie beide wußten, daß sie Chavanda Sringh nie wiedersehen würden,
* * *
Der Vorgang spielte sich wie in Zeitlupe ab. Zumindest empfand es Phileas Fogg so. Er hielt die Arme mit dem Beutel nach vorn gestreckt, hatte die Beine leicht angezogen, um sich sofort wieder abfangen zu können, und fixierte den Kopf des Sauriers. Übelriechender Gestank aus dem Rachen des Ungetüms schlug ihm entgegen, raubte ihm den Atem und trieb ihm das Wasser in die Augen. Der geschuppte Kopf kam näher und näher, und dann brach die Zeitlupe mit einem scharfen Ruck ab, der Fogg hinabriß an den Nacken des Ungetüms. Das große Maul befand sich keine zwei Ellen von dem Weltreisenden entfernt.
Fogg krümmte sich zusammen, suchte krampfhaft nach einem Halt. Er hatte nur eine Hand frei, und unter seinem Hemd rutschten die beiden Pässe hin und her, die wichtigsten Gegenstände überhaupt, mit deren Hilfe sie nach England zurückkehren konnten, falls ihnen ihre Reisekasse gestohlen wurde.
Wieder vollführte der drachenähnliche Saurier eine Notbremsung mit dem Zug, doch diesmal war Fogg darauf vorbereitet. Er warf sich nach vorn, packte mit der freien Hand die steil aufgerichteten Schuppen, vergrub die Finger tief darin und riß sie teilweise heraus. Seine Fingernägel schnitten tief in das Fleisch des Ungetüms, aber der Saurier schien es gar nicht zu bemerken. Er nahm den Kopf nach vorn, fuhr dann mit einem schnellen Ruck nach hinten und brachte sein tödliches Maul noch näher an Phileas Fogg heran. Es verfehlte ihn nur um Haaresbreite.
»Noch nicht«, keuchte der Engländer. »Ich bin keine leichte Beute!«
»Das werden wir sehen«, sagte der Drache. Er starrte Fogg aus seinen kleinen Augen an. Der Mann klammerte sich noch stärker im Nacken des Ungeheuers fest und schloß vor Schreck die Augen. Ein sprechender Saurier?
Ein vager Widerspruch setzte sich in ihm fest, ließ ihn erschauern und redete ihm ein, daß alles nur eine Halluzination war. Sie hatte ihn in ihren Bann geschlagen, und Fogg war sicher, er hätte mit dem Saurier eine glänzende Unterhaltung beginnen können, wenn er nicht instinktiv gespürt hätte, daß die Zeit dazu fehlte. Er öffnete die Augen wieder und starrte an dem riesigen Schädel vorbei in Fahrtrichtung. Dort gähnte ein dunkles Loch, einer wabernden und pulsierenden Wand gleich, auf die der Zug zuhielt. War er erst einmal hindurch, würde es keine Möglichkeit zur Rückkehr geben.
Folglich war diese tote Landschaft nur eine Art Übergang, eine Fahrt durch einen Korridor ins Nichts, die bisher etwa eine halbe Stunde dauerte. Mr. Fogg ließ entschlossen die Schuppen los, richtete sich auf die Knie auf und warf sich nach vorn. Der Saurier rechnete mit der Attacke; er ließ ein Brüllen hören, das alles in den Schatten stellte, was Fogg an Lärm jemals vernommen hatte. Das Ungeheuer aus der Urzeit ließ mit einem deutlichen Knacken die Kiefergelenke auseinanderspringen und schnellte den Unterkiefer nach vorn, um die Beute zu fassen.
»Mahlzeit!« sagte Phileas mit der Selbstbeherrschung eines Magiers oder Asketen.
»Mahlzeit!« erwiderte der Saurier mit einem Tonfall, als begegneten sie sich irgendwo auf einem englischen Fabrikhof auf dem Weg zum Mittagessen.
Der Bruchteil einer Sekunde rettete Phileas Fogg das Leben. Während der Drache antwortete, schleuderte der Weltreisende mit der Kraft der Verzweiflung den Beutel mit dem Kadath-Stein nach vorn. Er traf den Saurier oberhalb des Kiefers, wo die beiden tückischen Augen lagen. Es gab einen Ton, als pralle ein nasser Sack auf harten Beton.
Fogg war durch seine Bewegung in die Reichweite des gefährlichen Gebisses gekommen. Das Ungeheuer schnappte zu, die Zähne und der Kiefer sausten auf Foggs Arm und seinen Kopf zu. Phileas Fogg kam nicht dazu, einen Gedanken des Abschieds zu formulieren. In erstarrtem Entsetzen wartete er auf den Schlag.
Statt dessen erlebte er aus geweiteten Augen, wie die auf ihn herabstoßenden Zähne in der Geschwindigkeit der Bewegung schrumpften und der Kiefer des Ungeheuers kleiner wurde und sich ruckartig in den Schädel zurückzog. Auch der Schädel wurde klein, und Foggs Arm mit dem schwarzen Lederbeutel hing übergangslos in der
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