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Doktor Pascal - 20

Doktor Pascal - 20

Titel: Doktor Pascal - 20 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Kapitel I
    In der Gluthitze des Julinachmittags war das große Arbeitszimmer mit den sorgfältig geschlossenen Fensterläden von einer großen Ruhe erfüllt. Durch die Ritzen in dem alten Holzwerk drangen nur dünne Lichtpfeile zu den drei Fenstern herein, und das ergab inmitten des Schattens eine sehr milde Helligkeit, die die Gegenstände in einem zarten, verschwommenen Licht badete. Es war hier verhältnismäßig kühl trotz der erdrückenden Glut, die man draußen unter der Wucht der Sonne spürte, die auf die Fassade niederbrannte.
    Doktor Pascal stand vor dem Schrank gegenüber den Fenstern und suchte eine Aufzeichnung, die er holen wollte. Der riesige geschnitzte Eichenschrank mit den starken und schönen Eisenbeschlägen aus dem vorigen Jahrhundert war weit geöffnet, und man sah auf seinen Brettern tief in seinem Innern einen Riesenhaufen von Papieren, Aktenstücken und Manuskripten kunterbunt durcheinanderliegen. Seit mehr als dreißig Jahren warf der Doktor alles, was er aufgeschrieben hatte, dort hinein, angefangen von kurzen Aufzeichnungen bis zu vollständigen Texten seiner großen Arbeiten über die Vererbung. Deshalb war es nicht immer leicht, hier etwas zu suchen. Er wühlte mit viel Geduld, und als er das Gesuchte endlich fand, lächelte er.
    Einen Augenblick blieb er noch am Schrank stehen und las im Schein des goldenen Lichtstrahls, der durch das Mittelfenster fiel, die Aufzeichnung. Er selber wirkte in diesem Licht mit seinem Bart und seinem schneeweißen Haar kraftvoll und unerschütterlich, obwohl er sich schon der Sechzig näherte; er hatte noch ein so frisches Gesicht, so feine Züge und so jugendlich klare Augen, daß man ihn, wie er so dastand in seinem eng anliegenden braunen Samtjackett, für einen jungen Mann mit weißgepuderten Locken hätte halten können.
    »Hier, Clotilde«, sagte er schließlich, »du mußt mir diese Aufzeichnung abschreiben. Ramond könnte ja nie meine verteufelte Schrift entziffern.«
    Und er legte das Blatt Papier dem jungen Mädchen hin, das an einem Stehpult in der rechten Fensternische arbeitete.
    »Gut, Meister!« antwortete sie.
    Sie hatte sich nicht einmal umgedreht, denn sie war ganz mit dem Pastellgemälde beschäftigt, das sie in diesem Augenblick mit breiten Kreidestrichen wie mit Säbelhieben bearbeitete. Neben ihr blühte in einer Vase ein Stiel Stockrosen von einem seltsamen gelbgestreiften Violett. Aber man sah deutlich das Profil ihres kleinen runden Kopfes mit dem kurzgeschnittenen blonden Haar, ein erlesenes und ernstes Profil: die gerade von der Anspannung in Fältchen gezogene Stirn, das himmelblaue Auge, die feine Nase, das feste Kinn. Ihr geneigter Nacken war von bezaubernder Jugendlichkeit, milchweiß unter dem Gold krauser Löckchen. In ihrem langen schwarzen Kittel wirkte sie sehr groß mit ihrer schlanken Taille, ihrem kleinen Busen und ihrem biegsamen Körper, biegsam wie die göttlichen Gestalten der Renaissance. Trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre sah sie noch kindlich aus und wirkte wie kaum achtzehn.
    »Und mach ein bißchen Ordnung im Schrank«, fuhr der Doktor fort. »Man findet sich darin ja nicht mehr zurecht.«
    »Gut, Meister!« wiederholte sie, ohne aufzublicken. »Gleich!«
    Pascal hatte sich am anderen Ende des Raumes wieder an seinen Schreibtisch gesetzt, der vor dem linken Fenster stand. Es war dies ein einfacher Tisch aus schwarzem Holz, der ebenfalls mit Papieren und Broschüren aller Art bedeckt war. Und das Schweigen sank wieder herab, der große Friede des Halbdunkels bei der erdrückenden Hitze draußen. Der weite Raum, etwa zehn Meter lang und sechs Meter breit, hatte keine anderen Möbel als den Schrank und zwei Bücherschränke, die mit Büchern vollgepfropft waren. Uralte Stühle und Sessel standen in heillosem Durcheinander herum, während an die mit einer alten Empiretapete mit Rosettenmuster tapezierten Wände als einziger Schmuck Pastellgemälde von Blumen in seltsamen Farben genagelt waren, die man schlecht erkennen konnte. Die Täfelungen der drei zweiflügeligen Türen – der Eingangstür, die zum Flur führte, und der einander gegenüberliegenden beiden Türen zum Zimmer des Doktors und zum Zimmer des jungen Mädchens – stammten aus der Zeit Ludwigs XV.1, ebenso das Kranzgesims an der verräucherten Zimmerdecke.
    Eine Stunde verstrich ohne ein Geräusch, ohne einen Hauch. Als dann Pascal seine Arbeit unterbrach und das Streifband einer auf seinem Tisch liegengebliebenen Zeitung, »Le Temps«2, zerriß,

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