Der Himmel auf Erden
strich sich über die Nase und holte tief Luft. »Der Junge hatte gehofft, wir würden auf seinen Vater stoßen.« Er sah Winter an. »Er traute sich nicht, selbst was zu sagen. Er hatte zu viel Angst und wusste, dass er dem Alten nie entkommen würde.«
»Hat er das zu dir gesagt?«, fragte Winter. Er bog bei Rot in die einsame Allen ein. Die Ampeln funktionierten nicht.
»Er ist mit mir zurückgefahren«, sagte Ringmar.
»Himmel, wo ist er denn jetzt?«
»Bei sich zu Hause.«
»Bist du sicher?« Ringmar nickte.
»Und du glaubst das alles?«
»Ja.« Ringmar wandte sich zu Winter. »Du warst nicht dabei, Erik. Du hättest es verstanden.«
»Und wo ist der alte Smedsberg?«
»Im Augenblick bei den Kollegen in Skövde«, sagte Ringmar und sah auf die Uhr. »Scheiße, ist es schon so spät?« Er sah Winter wieder an. »Sie waren da draußen, die Jungs, und haben gesehen, wie der Alte auf den Sohn losgegangen ist. Die Details weiß ich nicht genau, aber sie haben den Kerl überrascht. Der Junge, Gustav, war wie gelähmt. Der Vater hat sich an ihm vergriffen.« Ringmar kratzte sich im Gesicht. »Das scheint lange so gegangen zu sein.« Er kratzte sich wieder, Winter hörte das Geräusch von den Bartstoppeln an seinem Kinn. »Kaputt, der Junge natürlich. Kaputt.« Er kratzte und kratzte. »Es ist nicht zu sehen, aber es ist da, drinnen. Zerstört von seinem Vater. Es kam…«
»Bertil.« Ringmar zuckte zusammen, als ob er aus einer anderen Dimension erwachte. Winter kam das Wort in den Sinn, Dimension. Wir bewegen uns hier in verschiedenen Dimensionen, der ersten, der zweiten, der dritten. Himmel, Meer, Erde, hinein und hinaus, nach unten und nach oben. Träume, Lügen.
Er fuhr dauernd bei Rot in einem System, das in den fröhlichen Weihnachtsfarben geschlossen zu sein schien, fuhr einen Halbkreis am alten Ullevi vorbei, Göteborgs-Posten, Hauptbahnhof. Es war früh am Morgen, aber immer noch schwarze Nacht. Neben den Bahngleisen standen dunkle Taxis. Follow the tracks, dachte Winter.
»Er hat sie in der Stadt besucht«, fuhr Ringmar fort. »Tja… den Rest kennen wir ja.«
»Dann hat er also Carlström das Eisen gestohlen?«, fragte Winter.
»Ja.«
»Das ist nicht die einzige Verbindung«, sagte Winter.
»Wie meinst du das?«
»Smedsberg war mit Gerda verheiratet, der früheren Nachbarin von Carlström. Erinnerst du dich?«
»Klar, wir haben das doch überprüft.«
»Ich glaube, dass Carlström und Gerda Smedsberg ein Verhältnis miteinander hatten.«
»Was bringt dich dazu, das zu glauben?«
»Lies noch mal in den Akten, Bertil. Denk darüber nach, wie die Leute agiert haben. Du wirst es sehen.«
»Spielt das eine Rolle?«, fragte Ringmar.
»Carlströms Pflegesohn, Mats Jerner, war Smedsberg nicht unbekannt«, sagte Winter. »Das hab ich von Anfang an geahnt. Das war ganz offensichtlich.«
»Und?«
»Smedsberg hat genauso viel Schuld daran. Er… hat Mats Jerner wahrscheinlich missbraucht. Ich bin fast davon überzeugt, dass er auch Mats Jerner übel mitgespielt hat. Oder ein anderer von denen hat es getan. Hat ihn sexuell benutzt. Smedsberg hat genauso viel Schuld an dem, was passiert ist.«
»Genauso viel Schuld woran, Erik?«, fragte Ringmar, dem jetzt zum ersten Mal bewusst zu werden schien, dass sie irgendwohin unterwegs waren. Er sah sich um, als sie über eine Brücke fuhren. »Wohin fahren wir eigentlich?«
»Zu Mats Jerner«, sagte Winter. Sie waren auf der Brücke. Überall brannten Lichter wie in einer Kuppel, die sich rundum über Erde und Meer erhob. Als ob die Stadt lebte, dachte Winter. Aber sie lebt nicht.
Sie waren allein auf dem höchsten Punkt der Stadt und fuhren wieder nach unten. Winter sah das Wasser im Spiegel der Öltanks glitzern, die das Schönste waren, was es dort gab. Sie begegneten einer Straßenbahn und einem Bus. Beide ohne Fahrgäste.
»Ich habe auch Neuigkeiten«, sagte Winter und fasste innerhalb von einer Minute seinen Heiligabend zusammen. Sie waren jetzt in der Nähe vom Backaplan. Er bog nach rechts und dann nach links ab, spürte das Adrenalin durch seinen Körper strömen, eine Wärme, die ihn kühlte.
»Es könnte ein Zufall sein«, sagte Ringmar. »Es gibt viele, die stottern, und viele, die ein Maskottchen haben.«
»Nein, nein, nein, nein.«
»Doch, doch, doch.«
»Wir müssen ihm sowieso einen Hausbesuch abstatten«, sagte Winter und parkte das Auto. Er sah das diskrete Blaulicht der Kollegen den Himmel über dem Wohngebiet erhellen, wo
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