Der Hintermann
Monat. Nicht mal nächstes Jahr. Aber irgendwann.«
»Verkauf sie, Julian. Setz dich zur Ruhe. Genieß das Leben.«
»Wem verkaufen? Oliver? Roddy? Oder irgendeinem verdammten russischen Oligarchen, der ein bisschen Kultur machen will?« Isherwood schüttelte den Kopf. »Nein, in der Galerie steckt zu viel Herzblut, um sie einem Fremden zu überlassen. Ich möchte, dass sie in der Familie bleibt. Und da ich keine habe, bist nur du übrig.«
Gabriel äußerte sich nicht weiter dazu. Isherwood setzte sich widerstrebend weiter in Bewegung.
»Ich werde niemals vergessen, wie Schamron dich zum ersten Mal zu mir in die Galerie mitgebracht hat. Du warst so schweigsam, dass ich dich beinahe für stumm gehalten hätte. Deine Schläfen waren so grau wie meine heute. Schamron hatte eine Erklärung dafür …«
»Spuren an einem Jungen, der Männerarbeit geleistet hat.«
Isherwood lächelte trübselig. »Als ich dich dann mit einem Pinsel in der Hand gesehen habe, habe ich Schamron dafür gehasst, was er dir angetan hat. Er hätte dich dein Studium an der Kunstakademie abschließen lassen sollen. Du wärst einer der besten Maler deiner Generation geworden. In diesem Augenblick rätselt ganz New York, wer das im Museum of Modern Art hängende Porträt von Nadia al-Bakari gemalt hat. Ich wollte, die Welt erführe endlich die Wahrheit!«
Isherwood blieb erneut stehen, um die Wogen zu beobachten, die sich am Nordende der Bucht an den schwarzen Felsen brachen. »Komm zu mir in die Galerie«, sagte er. »Ich bringe dir alle Kniffe bei, auch wie man in zehn einfachen Schritten das letzte Hemd verlieren kann. Und wenn’s Zeit wird, dass ich meine restliche Energie aufs Gärtnern konzentriere, kannst du den Laden längst selbstständig führen. Das wünsche ich mir, mein Lieber. Und noch wichtiger: Das wünscht sich deine Frau.«
»Das ist sehr großzügig von dir, Julian, aber ich kann dein Angebot nicht annehmen.«
»Warum nicht?«
»Weil irgendwann ein alter Feind einen Termin vereinbaren wird, um einen Bordone oder Luini zu besichtigen, und ich dann mit mehreren Kugeln im Kopf daliege. Und Chiara natürlich auch.«
»Deine Frau wird enttäuscht sein.«
»Lieber enttäuscht als tot.«
»Ich bin weiß Gott kein Experte für langjährige Beziehungen«, sagte Isherwood, »aber ich habe das Gefühl, dass deine Frau dringend einen Tapetenwechsel braucht.«
»Ja«, sagte Gabriel lächelnd, »das hat sie mir unmissverständlich klargemacht.«
»Kommt also nach London, wenigstens für den Winter. Dann hat Chiara die gewünschte Abwechslung, und ich spare mir ein Vermögen an Transportkosten. Ich habe ein Tafelbild von Piero di Cosimo, das dich dringend braucht. Und du weißt, ich zahle anständig.«
»Tatsächlich denke ich daran, einen Auftrag in Rom anzunehmen.«
»Wirklich?«, fragte Isherwood. »Öffentlich oder privat?«
»Privat«, antwortete Gabriel. »Der Eigentümer wohnt in einem sehr großen Haus am Ende der Via della Conciliazione. Er bietet mir die Chance, eines meiner Lieblingsgemälde zu reinigen.«
»Welches?«
Gabriel sagte es ihm.
»Damit kann ich leider nicht konkurrieren«, sagte Isherwood. »Und was zahlt er dafür?«
»Peanuts«, sagte Gabriel, »aber das ist es mir wert. Vor allem auch um Chiaras willen.«
»Versuch bitte, dort nichts anzustellen. Als du letztes Mal in Rom warst …«
Isherwood verstummte abrupt. Gabriels Gesichtsausdruck besagte überdeutlich, dass er sich nicht länger mit vergangenen Dingen aufhalten wollte.
Der Wind hatte ein Loch in die Wolkenschleier gerissen, und die Sonne hing als weiße Scheibe dicht über dem Horizont. Sie blieben noch einige Minuten länger auf der Klippe, bis die Sonnenscheibe im Meer versunken war, und machten sich dann auf den Rückweg. Als sie das Cottage betraten, konnten sie Chiara singen hören. Sie trällerte einen dieser albernen italienischen Popsongs, die sie immer sang, wenn sie glücklich war.
A NMERKUNG DES V ERFASSERS
Der Hintermann ist ein Roman. Die in diesem Werk vorkommenden Namen, Personen, Orte und Ereignisse sind das Produkt der Phantasie des Autors oder von ihm fiktionalisiert worden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen, Firmen, Unternehmen, Ereignissen oder Schauplätzen wäre rein zufällig.
Die in diesem Roman beschriebene Madonna und Kind mit Maria Magdalena existiert nicht. Gäbe es sie, würde sie erstaunliche Übereinstimmungen aufweisen mit einem ähnlichen Gemälde von Tiziano Vecellio,
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