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Der Hueter und das Kind

Der Hueter und das Kind

Titel: Der Hueter und das Kind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vampira VA
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zusehends verfielen. Die Linien in seinem Gesicht wurden zu Falten und schließlich zu Furchen, die wie mit dem Messer in die pergamenten werdende Haut hineingeritzt aussahen. Das Zucken der Augäpfel hinter den geschlossenen Lidern wurde schwächer, schließlich sanken die dünnen Häute ein, als der Ausdörrungsprozeß auch auf die Augen übergriff.
    Der Junge spürte, wie die Energie aus dem Körper an seiner Seite rann und in seinen eigenen floß.
    Und vielfach schneller, als menschliche Kraft es tat, rührte sie »Dinge« in ihm an. Wie aus Kapseln brach längst vorhandenes Wissen hervor, noch wirr, wie die Teile eines Puzzles, die erst geordnet werden mußten. Im gleichen Maße erwachende Kräfte gingen daran, es zu tun.
    Tinto verging. Sein Körper erinnerte nun zumindest vage daran, wie er eigentlich hätte aussehen müssen - wenn der Tod in all den Jahrhunderten sein Werk hätte verrichten dürfen.
    Gabriel schloß die Augen, legte sich zurück. Er stöhnte, als nun auch sein Körper verwertete, was ihm zugeflossen war. Knochen knirschten in plötzlichem Wachstum, schmerzten. Doch es war rasch vorüber. Und bei weitem nicht so schlimm, daß der Junge sich nicht gewünscht hätte, mehr von dieser ganz besonderen Energie zu erhalten.
    Er wünschte es sich mit all seiner noch jungen und doch uralten Macht.
    Mehr von dieser Kraft, flüsterte er in Gedanken. Ich brauche mehr. Muß danach suchen .
    Etwas verließ ihn, ohne den Kontakt zu lösen. Fand einen Weg, ein Ziel .
    Gabriel öffnete die Augen.
    Ein fast runder Teil der Wirklichkeit erschien ihm einen Moment lang nur als dünnes Glas, durch das er hindurchsehen konnte.
    An einen fernen Ort.
    In ein Gesicht mit nachtfarbenen Augen.
    *
    Indien Landru sah.
    Tiefblaue Augen. Ein engelsgleiches Gesicht. Ein Kind.
    Ein Kind?
    Das Kind!
    Im Kelch hatte der Hüter auch alles andere beobachten können. Er hatte das Haus gesehen - und erkannt. In all den Jahren war er selbst viele Male dort zu Gast gewesen. Und hätte noch Zweifel bestanden, so hätte ihm Tintos Anblick verraten, wo die Szenen, die der Gral ihm wies, sich tatsächlich ereigneten. In Rom .
    Das Kind hatte das Sippenoberhaupt der Stadt am Tiber getötet -auf eine Weise, die Landru wohl erspürt hatte, nicht jedoch hatte nachvollziehen können.
    Offensichtlich stärkte es sich. Sammelte Kräfte. Vielleicht die Kräfte aller noch lebenden Vampire, um sie zu bündeln und schließlich zu nutzen - für einen neuen Anfang?
    Schwäche füllte Landrus Körper als Folge einer überwältigenden Erkenntnis. Denn er glaubte zu wissen, was es mit jenem Kind auf sich hatte.
    Daß der Kelch es ihm gezeigt hatte, war ihm Indiz genug.
    Nach all den Jahrhunderten war es also endlich soweit. Es konnte nicht anders sein.
    Landrus Gedanken eilten in der Zeit zurück, erreichten jenes Jahrtausend, da er noch unerkannt, getarnt mit einer lebenden Maske, die den Sippen seine wahre Identität verheimlicht hatte, als Hüter des Kelches um den Globus gezogen war, als Reisender in Sachen Tod und Leben.
    Bilder jener Zeit stiegen vor seinem geistigen Auge auf. Bilder seines Besuches in .
    *
    ... Shibam im Jemen, nach der ersten Jahrtausendwende
    Saduk, Herrscher über die Sippe der Unsterblichen in Shibam, hatte nach dem Hüter des Grals gesandt. Und Landru war dem Ruf gefolgt, wie es als Verwalter des Unheiligtums seine Pflicht war.
    Die Bitte indes, die Saduk an ihn herantrug, war von gewaltigem Ausmaß.
    »Fünfzig Kinder soll der Kelch dir schenken?« Landrus Verärgerung über die hohe Zahl von Täuflingen offenbarte sich dem anderen nicht. Seine Maske, die Fleisch war und von Blut belebt, verbarg jede wahre Regung des Hüters.
    Saduk nickte stumm, obwohl seine Kiefer sich bewegten. In monotonem Rhythmus mahlten sie auf Quat-Blättern, die er auch dem Hüter angeboten hatte mit den Worten: »Ainda - ma yuachzin yid-schma samatan.«
    Quat kauen - den Verstand verdichten!
    Landru hatte abgelehnt, nicht einmal dankend. Sein Verstand arbeitete messerscharf, wie es sich dem hohen Amt geziemte. Und daß der Saft der Blätter den Verstand verdichtete, daran zweifelte er nach Saduks vermessener Bitte ohnehin. Eher schien das Zeug den Geist zu vergiften.
    Fünfzig neue Nachkommen. Die Zahl war anmaßend.
    »Weshalb so viele?« fragte er Saduk, der sich in einem Meer von Kissen niedergelassen hatte.
    »Aus gutem Grund«, antwortete der Vampir.
    »Nenne ihn mir«, verlangte der Hüter.
    Saduk ließ eine wohl bemessene Weile verstreichen,

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